Edgar S. Hasse: Weihnachten in der Presse

Einzelrezension
6990 Aufrufe

Rezensiert von Detlev Dormeyer

Einzelrezension
Bei dem Werk handelt es sich um eine Dissertation eines Journalisten mit langer Berufserfahrung an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald. Das Werk enthält sieben Hauptteile: A. Einleitung; B. Forschungsstand; C. Forschungsgeschichte; D. Thematische Grundlagen für die empirischen Analysen; E. Methode; F. Empirie; G. Gesamtergebnisse, Interpretation und Diskussion. Als Anhang folgen: H. Konsequenzen; I. Grafiken; J. Literaturverzeichnis, Quellen, Hilfsmittel; Codebuch. Der Ansatz dieser Arbeit ist umfassend. In der Einleitung werden das Ziel und die Hypothesen kurz vorgestellt. Es geht darum, die gängige These vom Säkularisierungsschub, mit dem als Gegenbewegung eine Zunahme der religiösen Individualisierung und Privatisierung negativ korreliert, empirisch zu überprüfen. An solchen empirischen Untersuchungen mangelt es bisher. Insbesondere ist “ein neues mediales Interesse an Religion und Religiosität zu berücksichtigen” (20) und entsprechend eine ab 1980 ansteigende journalistische Wahrnehmung von christlichen und religiösen Themen.

Hasse wählt 3622 Artikel aus elf publizistischen Einheiten aus. Zeitungen werden von Zeitschriften unterschieden und repräsentativ ausgewählt: Frankfurter Allgemeine Zeitung; Süddeutsche Zeitung; Bild-Zeitung; Tageszeitung; Leipziger Volkszeitung; Spiegel; Fokus; Stern; Bild der Frau; Bravo; Playboy. Kapitel B. analysiert “Weihnachten als gegenwärtiges Thema der Theologie”. Phänomenologisch wird die gegenwärtige Entdeckung des “Weihnachts-Christentum” durch die Theologie dargestellt. Weiterhin werden die “Impulse aus Liturgie und Homiletik” und anderen Gebieten der Theologie kurz vorgestellt. Es schließt sich in C. die theologische Forschungsgeschichte an. Sie beginnt mit Schleiermachers kleiner Schrift „Weihnachtsfeier“ von 1806. Bereits Schleiermacher stellte die familiare Bedeutung des Weihnachtsfestes heraus. Es geht u. a. um Geschenke-Austausch und Gefühls-Betroffenheit. Diese Interpretation nimmt im 19. Jahrhundert zu und beherrscht im 20./21. Jahrhundert die Interpretation von Weihnachten.

Kapitel D. widmet sich dann dem gegenwärtigen theologischen Diskurs zu Weihnachten. Es geht um Deutungspluralismus, Festtheorien, Weihnachtskritik, biblische und kirchliche Dimensionen, um Familienfest-Zentrierung, um religiöse, nicht mehr spezifisch christliche Gestaltung, um Ereignis-Bildung. E. erklärt die sozialwissenschaftliche Methode. Die Inhaltsanalyse beruht auf Frequenz und qualitativer Analyse. Das “Codebuch” am Schluss “bezieht sich ausschließlich auf die Inhaltsanalyse” (480).  Die Grafiken in I. bieten die Statistik der Inhaltsanalyse.

Kapitel F. (Empirie) bildet das Zentrum (201-401). Eindrucksvoll werden die 11 Zeitungen/Zeitschriften in ihrem Profil vorgestellt und anschließend mit ihren Weihnachtsbeiträgen in den Weihnachtsausgaben analysiert. G. fasst dann die Tendenzen im Zeitraum von 1955-2005 zusammen. Die in D. entwickelten Hypothesen (167-173) werden weitgehend verifiziert, aber auch zum kleineren Teil falsifiziert oder modifiziert (401-407). Es gibt “Kontinuität und Wandel” (408). Konstant sind die “Assemblage von Genuss und Geschenken”, die “Sinn-Synthesen aus Familialisierung, Sakralisierung der Familie, tradiertem Brauchtum sowie Fragmenten jüdisch-christlicher Traditionen” (lukanische Friedensbotschaft, Nächstenliebe) und die radikal säkularisierte Festdeutung als Erholung von der Arbeitswelt u. a. (408f.). Dagegen hat das Weihnachtsfest als Gegenstand journalistischer Berichterstattung erheblich an medialem Gewicht verloren, denn Frequenz und Umfang der Beiträge sind- bis auf die Ausnahme von zwei publizistischen Einheiten (taz, erst ab 1978 erschienen, und Bravo) – “in den Leitmedien deutlich gesunken” (411). Zwar ist seit den 80er – und 90er- Jahren eine neues Interesse an Religion zu beobachten, aber dieses ersetzt nicht den gravierenden Rückgang der Berichterstattung über Weihnachten.

Spannend, zumindest für einen Theologen, sind noch die kurzen Auswertungen “Typologie der Zeitungen und Zeitschriften” und “Interferenz der Ergebnisse auf soziale Milieus” (419-423): “Kirchlich-traditionelles Wahrnehmungsschema, repräsentiert durch ‘FAZ’ und ‘SZ'” (419), “Familiales Wahrnehmungsschema, repräsentiert durch ‘Stern’, ‘Focus’, ‘taz’, ‘Bild der Frau'”; “Konsum-Schema”, differenziert in ein “konsumaffines-Schema” mit ‘Spiegel’, ‘Bravo’, ‘Bild’, ‘Bild der Frau’, ‘Playboy’ und ein “konsumkritisches Schema” mit ‘taz’ und ‘SZ’ (420). Die “Hochkulturellen”, d.h. Benutzer von FAZ und SZ, sind daher “traditionell-kirchlich, biblisch und familial orientiert, konsumistische Aspekte treten zurück” (422). Das “Harmoniemilieu” ist bei Bild und Bild der Frau anzutreffen (422). Die “Bürgerliche Mitte” prägt die anderen. Als “kritisch” bleibt die taz übrig, die sich aber ab der Gründung verändert hat und nun “trotz Distanz zur Institution Kirche offen für religiöse Erfahrungen und Fragestellungen” ist (423).

Zur Auswertung des Befundes, dass “das Interesse an der Menschwerdung Gottes erheblich gesunken” ist, habe ich allerdings eine Anfrage. Nach Hasse sind Kirche und Theologie dafür mit verantwortlich, da für sie das Thema der Inkarnation “fast zur Randerscheinung” geworden ist (418), während die Kreuzestheologie vorherrscht (431). Dieser Befund trifft aber nur für die evangelische Kirche zu; die katholische Kirche, Theologie und Frömmigkeit haben immer die Inkarnation in den Mittelpunkt gestellt (94-96 mit Rahners Fest-These). Predigten und Printmediendarstellungen mit der Kreuzigung als Mittelpunkt wirkten deplatziert. Aber auch hier findet ein Wandel statt, so dass der Schlussabsatz von Hasse für beide Kirchen zutrifft: Kein Wechsel von Kreuz zu Krippe (oder von Krippe zu Kreuz), vielmehr “Zusammengehörigkeit von Krippe und Kreuz” (431f.).

Insgesamt liegt ein gelungener Versuch einer “Methodenkombination aus Inhaltsanalyse und einer theologisch-hermeneutischen Argumentationsanalyse der Meinungsbeiträge” vor (480). Jeder Schritt ist sorgfältig begründet. Die Hypothesen sind signifikant und erhellen die Kontinuität und den Wandel in der medialen Wahrnehmung zentraler christlicher Gehalte. Der Untergang der Religion, den einige Medien in den 70ern noch düster prophezeiten (u. a. taz), wird so schnell nicht eintreten. Im Gegenteil, die Familialisierung und die neue Aufmerksamkeit für Religion stellen neue Anforderungen an Kirche, Theologie und Frömmigkeit. So frage ich mich, ob die vielen theologischen Positionen in D. eher mehr dem Selbsterhalt der Lehrstühle als der Vermittlung des Weihnachtsfestes dienten. Hasse hat zu Recht herausgestellt, dass die Entstehung des Weihnachtsfestes im 4. Jh. stark von heidnischer Frömmigkeit bestimmt war und diese (aus späterer christlicher Gewinner-Sicht) säkulare Interpretation von Schleiermacher wiederentdeckt wurde und bis heute anhält. Doch nicht nur das Weihnachtsfest, die gesamte Bibel ist doch von nichtbiblischen Religionen und Kulturen entscheidend mitgeprägt worden (siehe der zutreffende Verweis am Schluss (430) auf Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen,2001).

So gilt es, das neue Interesse an Religion theologisch-kognitiv und emotional-liturgisch ohne Vorbedingung einer Rückkehr zur alten Kirchlichkeit zu unterstützen. Die hier vorgelegte Analyse der Medien erweist sich als vorzügliche Hilfe und als uneingeschränkt empfehlenswerter Wegweiser.

Links:

Über das BuchEdgar S. Hasse: Weihnachten in der Presse. Komparative Analysen der journalistischen Wahrnehmung des Christfestes anhand der "Weihnachtsausgaben" ausgewählter Tageszeitungen und Zeitschriften (1955 bis 2005). Reihe: Studien zur Christlichen Publizistik, Band 19. Erlangen [Christliche Publizistik Verlag] 2010, 511 Seiten, 25,- Euro.Empfohlene ZitierweiseEdgar S. Hasse: Weihnachten in der Presse. von Dormeyer, Detlev in rezensionen:kommunikation:medien, 12. September 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/6170
Getagged mit: , , , ,
Veröffentlicht unter Einzelrezension