Michael Haller; Lutz Mükke (Hrsg.): Wie die Medien zur Freiheit kamen

Einzelrezension
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Haller/Mükke: Wie die Medien zur Freiheit kamenEinzelrezension

Der langjährige Direktor des Instituts für praktische Journalismusforschung und 2010 emeritierte Lehrstuhlinhaber für Journalistik an der Universität Leipzig, Professor Michael Haller, legt zusammen mit seinem jüngeren Kollegen Dr. Lutz Mükke eine Art Bilanzband vor, in dem 18 Jahre Begleitforschung zu den radikalen Veränderungen in der ostdeutschen Medienlandschaft dokumentiert werden. Dazu wurden elf wissenschaftliche Aufsätze als sogenannte Fallstudien zusammengestellt, die auf Absolventenarbeiten der Journalistikstu­diengänge zurückgehen, eingerahmt von zwei Interviews.

Gegliedert ist das Ganze nach vier Schwerpunkten, in denen es 1. um den Systemwechsel, 2. den Wandel des journalistischen Rollenbildes, 3. das Bild Ostdeutschlands in den westdeutschen Medien und 4. um Anpassung und Widerstand im heutigen Journalismus geht. Dabei sollen bewusst auch “Fehlleistungen und Unzulänglichkeiten” (20) sichtbar gemacht werden – so die Herausgeber in ihrer Einleitung. Bewusst wählte man einen akteurs­orientierten Schwerpunkt (100), da es zu den Veränderungen der Rahmenbedingungen bereits genügend Arbeiten gibt.

Trotzdem ist es methodisch durchaus schlüssig, eingangs zunächst die Dimension der Transformationsprozesse noch einmal an Einzelfällen darzustellen. So berichtet der langjährige Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Sergej Lochthofen, von seinen – am Ende auch bitteren – Erfahrungen mit westdeutschen Zeitungsverlegern. Im Gegenzug schildern westdeutsche Chefredakteure ihre Erlebnisse beim Einsatz in ostdeutschen Regionalzeitungen. Ergänzt wird dieser Abschnitt durch den Blick auf die gemischte Redaktion der SUPERillu.

Beim Rollenwandel der Journalisten im zweiten Teil geht es dann um das veränderte Selbstverständnis vor allem der Lokalredakteure. Hier hätte es richtig spannend werden können, erinnert man sich doch an den Streik der Journalisten in Südthüringen, an die Klagen von Kollegen aus den Kreisredaktionen, dass wichtige Anzeigenkunden nicht angegriffen werden dürfen und das Gespött aus den Großredaktionen über den Schmusekurs so manchen Regionalblattes zu seinen lokalen Politikern. Doch der Fokus dieses Abschnittes liegt weniger auf der kritischen Ausleuchtung des heutigen Zustandes als auf der historischen Würdigung der neu gewonnenen Freiheiten und auf dem Übergang von politisch-missionarischen zu pragmatisch-publikumszentrierten Berufsvorstellungen. Der Austausch der einen, eher rigiden weisungsgebenden Instanz gegen eine andere, eher moderate, wird dabei nur am Rande thematisiert, wenn es um die Anpassung an gesetzte Normen geht (137). Lediglich im Beitrag von Frauke Abesiyan, in dem eine Befragung von Lokalredaktionsleitern ausgewertet wird, kommt die Sprache darauf, dass vielerorts nicht hart recherchiert wird und ein sehr kommoder Umgang mit Informanten vorherrscht (158). Als Gründe werden hier Zeitmangel und fehlende Eigeninitiative angeführt, wobei die Autorin auch alte Obrigkeitshörigkeit ausmacht. Dass vielerorts einfach von den Eigentümerverlagen die wirtschaftlichen und somit personellen Rahmenbedingungen für einen kontrollierenden Journalismus nicht gewährleistet werden, ist keiner weitergehenden Erörterung wert.

Dabei zeigt gerade die Fallstudie von Gerit Schulze aus dem dritten Teil des Buches, dass die kritischen Berichte über Missstände in Mecklenburg-Vorpommern eher vom Spiegel angestoßen wurden als von den Medien vor Ort, auch wenn das Hamburger Nachrichtenmagazin die Realität in manchen Punkten verzerrt darstellt (192), genau wie der Zeit Einseitigkeiten bei ihrer Berichterstattung über Ostdeutschland in einem weiteren Aufsatz (Claudia Lasslop: “Das Bild Ostdeutschlands in westdeutschen Leitmedien”) bescheinigt werden.

Im letzten Teil des Sammelbandes geht es in zwei Beiträgen (Daniela Kahls: “Der Fall Sebnitz” und Erik Nebel: “Panische Aufregung und professioneller Spürsinn”) um die Behandlung des Rechtsextremismus in Sachsen, speziell im Fall Sebnitz, als im November 2000 nahezu alle Medien auf die Falschberichterstattung der Bild-Zeitung hereinfielen. Dass hier Vorurteilsberichterstattung an die Stelle von Recherche getreten ist (209), liegt auf der Hand, wie auch die gesamte Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus unter mangelnden “zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen” (246) zu leiden hat. Die daraus erforderlichen Schlussfolgerungen werden in diesem Abschnitt unter dem großen Titel “Anpassung und Widerstand” allerdings nicht gezogen.

Eine Art Bilanz bleibt dem abschließenden Interview mit Hans-Jörg Stiehler, Professor für Empirische Kommunikations- und Medienforschung an der Universität Leipzig, vorbehalten. Er erklärt, warum es den auf Eliten ausgerichteten überregionalen westdeutschen Blättern nicht gelungen ist, im Ostdeutschland der kleinen Leute Fuß zu fassen und konstatiert fehlende “Übersetzungs- und Verständigungsleistungen” (255) der Medien. Er benennt auch das Versagen der Politik bei der Neuordnung der ostdeutschen Medienlandschaft, die heute vor allem durch Monopolstrukturen geprägt ist, in denen die immer weniger werdenden Journalisten vor Ort kaum noch die Rolle einer vierten Gewalt erfüllen können.

Von wenigen Redundanzen abgesehen liefert der Sammelband einen facettenreichen Überblick zum Wandel der ostdeutschen Medienlandschaft nach dem Untergang der DDR. Für die Zeit seit dem Untergang der DDR, wie es im Untertitel heißt, hätte man sich mehr kritische Reflexionen zum heutigen Zustand gewünscht.

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Über das BuchMichael Haller; Lutz Mükke (Hrsg.): Wie die Medien zur Freiheit kamen. Zum Wandel der ostdeutschen Medienlandschaft seit dem Untergang der DDR. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2010, 264 Seiten, 24,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMichael Haller; Lutz Mükke (Hrsg.): Wie die Medien zur Freiheit kamen. von Links, Christoph in rezensionen:kommunikation:medien, 12. Juli 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/5920
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