Tabea Böcking: Strategisches Framing

Einzelrezension
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Rezensiert von Christian Baden

Einzelrezension
Es mag erstaunen, dass es eine Arbeit zur strategischen Gestaltung und Beeinflussung medialer Frames nicht schon lange gibt. Angesichts der unstrittig großen Bedeutung von Frames im massenmedialen Diskurs liegt die Frage nach der Beteiligung gesellschaftlicher Akteure an Frame-Building-Prozessen mehr als nahe. Auch aus Sicht der strategischen Kommunikation schließt sich nach der Platzierung von Themen auf der Medienagenda das Beeinflussen der Rahmung dieser Themen als Forschungsfeld unmittelbar an. Dennoch liegen bisher kaum Studien vor, die mediales Framing, gesellschaftliches Frame-Building und strategische Kommunikation miteinander verbinden. Eine systematische Aufarbeitung der relevanten Theorie und insbesondere der Erfolgsbedingungen für die strategische Vermittlung von Frames, wie Tabea Böcking sie vornimmt, ist überfällig.

In ihrer Dissertation, welche die strategische Beeinflussung des medialen Framings der deutschen Stammzellendebatte untersucht, verbindet Böcking die genannten Forschungstraditionen und skizziert – unter Rückgriff auf die jüngere methodologische Literatur zur PR-Wirkungs- und Framinganalyse – ein ausgezeichnet begründetes und zudem empirisch umsetzbares Forschungsprogramm. Im Stile einer Input-Output-Analyse möchte sie überprüfen, welche durch gesellschaftliche Akteure strategisch geschaffenen Frame-Angebote durch Journalisten selektiert werden und in der Medienberichterstattung Anwendung finden (185ff). Dabei diskutiert die Arbeit ausführlich, dass – anders als Themenagenden – Frames durch verschiedene Akteure in unterschiedlichen Varianten vertreten werden (z. B. 123ff), sich über Zeit graduell verändern können (z. B. 104ff) und nicht notwendigerweise in ihrer Ganzheit von Medien übernommen werden (z. B. 77ff). Um dieser Veränderlichkeit von Frames Rechnung zu tragen, greift Böcking auf eine teilweise induktive Technik zur Frame-Identifizierung zurück, welche funktionale Frame-Elemente codiert und Frames ex post per Clusteranalyse zusammensetzt. Dabei werden auch einige wichtige Kontingenzen und Unklarheiten dieser von Matthes und Kohring (2004) entwickelten Herangehensweise – etwa im Hinblick auf das Abstraktionsniveau der Analyse (100f) – diskutiert. Theoretisch wie empirisch begründet die Arbeit die Notwendigkeit einer differenzierten Herangehensweise und erhebt einen hohen Anspruch an die nachfolgende Analyse.

Dieser Anspruch wird jedoch zunächst nur teilweise eingelöst. Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Erstens zeichnet sich die bestehende Literatur (insbesondere zum strategischen Frame-Building, 127ff) durch eine oft nur geringe theoretische Konkretisierung aus und belässt somit viele Aspekte der Frame-Gestaltung und -Vermittlung im Ungefähren. Die Arbeit benennt und diskutiert zwar viele dieser Schwächen der theoretischen Grundlagen, kann diese aber nicht hinreichend konkretisieren und nur bedingt auflösen. Zweitens weist die verfügbare Datenbasis einige Lücken auf und kann viele für die Arbeit wichtige Argumente nur eingeschränkt stützen. Die genutzten Rangkorrelationen sowie die Übereinstimmung der auf Quartalsbasis aggregierten Häufigkeiten ganzer Frames zwischen Input und medialer Berichterstattung lassen meist nur indirekte Schlüsse zu und greifen, auch aufgrund der geringen Fallzahlen, oft ins Leere. Drittens ist der dramaturgische wie methodische Aufbau der Studie mitunter irreführend: Böcking geht bei ihrer Analyse strategischen Frame-Buildings gerade nicht von denjenigen Akteuren aus, deren Interessen und Sichtweisen kontrastiert und deren Inputs in die mediale Debatte auf differenzierbare Strategien zurückgeführt werden könnten. Vielmehr beginnt die Identifikation von Frames am Ende des Prozesses, anhand der in den Medien manifestierten Deutungsmuster. Die dort gefundenen, von Journalisten aus diversen Quellen amalgamierten Frames (Vliegenthart & van Zoonen, 2011) sucht sie nachfolgend in den Pressemitteilungen ausgewählter Akteure. Aus Sicht einer strategischen Vermittlung von Frames oder Frameelementen wäre die umgekehrte Vorgehensweise – die Suche nach Bruchstücken der durch strategische Akteure konstruierten Frames in der journalistisch komponierten, medialen Debatte – nahe liegender gewesen.

So bleibt die Analyse des strategischen Handelns der Akteure, welche den letzten Teil der empirischen Studie ausmacht (Kapitel 8.3.4), trotz der guten theoretischen Herleitung empirisch ein wenig vage und spekulativ. Zwar findet Böcking durchaus nachvollziehbare Operationalisierungen für die untersuchten Strategien des Frame-Bridging, Frame-Extension, und Frame-Amplification (Benford & Snow, 2000) und erweitert so die methodische Literatur zum Frame-Building um eine bedenkenswerte Facette (317f). Ob allerdings tatsächlich strategisches Handeln vorliegt, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, was ursächlich für den Erfolg oder Misserfolg einer Strategie war. An dieser Stelle wäre eine qualitative Nachfolgestudie wünschenswert, um die gezielte Bereitstellung und erfolgreiche Vermittlung der Frames einzelner Akteure dort im Detail nachvollziehen zu können, wo die bestehende, breit angelegte Studie bei der Beschreibung plausibler Korrelationen stehen bleiben muss. Eine solche Analyse könnte zudem den theoretisch ausgezeichnet diskutierten, aber empirisch kaum berücksichtigen und meist der unerklärten Varianz zugeschlagenen Beitrag journalistischer Selektion, Komposition, und eigenständiger Kommentierung näher beleuchten.

Insgesamt besticht die Studie vor allem durch eine hervorragend differenzierte theoretische Aufarbeitung strategischen Framings. Die sehr sorgfältige und eher zu vollständige Diskussion der bestehenden Literatur beinhaltet zahlreiche brillante Überlegungen und Hinweise. Zu diesen muss man sich als mit der einschlägigen Debatte bereits vertrauter Leser zwar durch viel Bekanntes durchschlagen, die meist kleinen, aber wichtigen Erweiterungen (u. a. zur zeitlichen und akteursspezifischen Variabilität (s. o.) und kulturellen Resonanz von Frames, 108ff) sind die Mühe aber durchaus wert.

Die operationale Umsetzung ist ebenfalls ambitioniert und nuancenreich angelegt, bleibt aber in der Praxis hinter dem gestellten Anspruch zurück. Der Bogen von der empirischen Analyse zurück zur theoretischen Diskussion erfordert zahlreiche Sprünge über Abgründe, die nur teilweise überbrückt werden können. Damit ist die Arbeit insbesondere für Leser, die an der theoretischen und methodischen Fortentwicklung von Fram(e Build)ing-Analyse und strategischer Kommunikationsforschung interessiert sind, von Gewinn. Wer vor allem an konkreten Befunden und der Stammzellendebatte selbst interessiert ist, wird wenig Überraschendes finden, wohl aber eine differenzierte theoretische Strukturierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Als praktische Anleitung zur erfolgreicheren strategischen Frame-Vermittlung ist die Arbeit nicht geeignet.

Literatur:

  • Benford, R. D., & Snow, D. A.: Framing processes and social movements: An overview and assessment. In: Annual Review of Sociology, 26, 2000, S. 611-639
  • Matthes, J., & Kohring, M.: Die empirische Erfassung von Medien-Frames. In: Medien und Kommunikationswissenschaft, 52 (2), 2004, S. 56-75
  • Vliegenthart, R., & van Zoonen, L.: Power to the frame: Bringing sociology back to frame analysis. In: European Journal of Communication, 26 (2), 2011 (im Druck).

Links:

Über das BuchTabea Böcking: Strategisches Framing: Gesellschaftliche Akteure und ihre Einflussnahmeversuche auf die mediale Debatte über die embryonale Stammzellenforschung in Deutschland. Köln [Herbert von Halem] 2009, 416 Seiten, 31,- Euro.Empfohlene ZitierweiseTabea Böcking: Strategisches Framing. von Baden, Christian in rezensionen:kommunikation:medien, 5. Juli 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/5294
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