Johannes Ludwig (Hrsg.): Sind ARD und ZDF noch zu retten?

Einzelrezension
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Rezensiert von Manfred Mai

ludwig2009Einzelrezension
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist immer wieder ein dankbares Objekt für das Studium von Fehlentwicklungen. Schon in den Zeiten des Monopols von ARD und ZDF wurde nicht an Kritik gegenüber den öffentlich-rechtlichen Anstalten gespart. Seit dem Aufbau des privaten Rundfunks sind weitere Kritikpunkte hinzugekommen. Zu den nach wie vor bestehenden Problemen der politischen Unausgewogenheit, der Verfilzung und der Ämterpatronage kommen nun vermehrt Fragen nach seiner Effizienz und seiner Legitimation. Mit der Ausdifferenzierung der digitalen Medienlandschaft und dem Siegeszug des Internets kommen weitere Argumente hinzu, die das öffentlich-rechtliche System in Frage stellen. Wenn sich die nachwachsende Generation vom Fernsehen abwendet, muss man sich fragen, welchen Stellenwert öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zukunft überhaupt noch hat.

Die Autoren des vorliegenden Bandes haben sich aus der Vielzahl der Kritikpunkte einige herausgesucht, um an ihnen die Legitimität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darzustellen. Es sind dies unter anderem Fragen nach der journalistischen Unabhängigkeit, der Transparenz, der Gebührenfinanzierung und der Fähigkeit zur Selbstreflexion. Immer wieder gelingt es den Autoren des Bandes mit Fallstudien zu zeigen, dass die Forderung nach Transparenz – etwa über die Sitzungen der Rundfunkgremien – nicht erfüllt wird. Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass Transparenz und Vertrauen in anderen – privatwirtschaftlichen – Bereichen viel systemrelevanter sind als im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Nun mag es Gründe geben, warum ARD und ZDF nicht völlig transparent sind. Wie sollen sie zum Beispiel eine neue Strategie beraten, wenn diese Überlegungen vorher bekannt werden, zumal die privaten Wettbewerber gar nicht daran denken, sich in die Karten schauen zu lassen? Auch Fragen der Programmakquisition und ähnliches sind Geschäftsgeheimnisse. Dennoch gelangen immer wieder Details über solche Vorhaben in die Hände konkurrierender Medien. Selbst Inhalte von angeblichen Vier-Augen-Gesprächen finden ihren Weg in die Öffentlichkeit und man fragt sich, was denn wirklich noch geheim ist. Dennoch: Die Beiträge von Johannes Ludwig und Marvin Oppong zeigen, dass es mit der Kommunikationskultur von ARD und ZDF nicht zum Besten steht. Berechtigte Auskunftsbegehren wurden verweigert und so nähren die Anstalten den Verdacht, dass es etwas zu verbergen gibt.

Kein gutes Haar lässt der Herausgeber auch an der Arbeit der Rundfunkräte. Sie identifizierten sich zu stark mit ‘ihrer’ Anstalt, statt sie zu kontrollieren. Was einst als Instrument des Binnenpluralismus institutionalisiert wurde, verkrustete immer mehr zu einem Kartell von Funktionären, die nur noch die Interessen ihrer jeweiligen Klientel im Blick haben, nicht aber das Gesamtinteresse der Zuschauer. Dies ist aber keine Besonderheit von Rundfunkräten, sondern ein Grundproblem repräsentativer Strukturen in einer pluralistischen Demokratie. Auch im Staat ist die Exekutive der Legislative immer überlegen. Dieses demokratietheoretische Problem kann man nicht den ARD-Anstalten anlasten.

In dem Sammelband finden sich kondensiert und aktualisiert fast alle Kritikpunkte gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder, die seit Jahrzehnten regelmäßig vorgebracht werden. Und wie Sisyphus versuchen auch die Autoren dieses Bandes immer wieder, mit weiteren Beiträgen – teilweise mit persönlich erlebten Beispielen und nicht ohne ein Quäntchen Selbstgerechtigkeit – das öffentlich-rechtliche System zu diskreditieren. Das haben schon ganz andere versucht: Bundeskanzler, die sich über das öffentlich-rechtliche Meinungsdiktat ärgerten, Kanzlerkandidaten, die sich wegen der “Schweigespirale” um ihre Wahlchancen betrogen fühlten, und Ministerpräsidenten, die die Unterschrift unter den Gebührenstaatsvertrag von Strukturreformen der ARD abhängig machten – von den von der EU vorgebrachten beihilferechtlichen Einwänden ganz zu schweigen.

Es ist daher anzunehmen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch die geballte Kritik dieses Bandes unbeschadet überstehen wird. Bislang ist die Strategie des steten Tropfens nicht aufgegangen. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass die Politik zumindest der Eigendynamik der Gebührenerhöhung Grenzen setzen will – notfalls gegen geltendes Verfassungsrecht, denn eigentlich darf die Politik den Vorschlag der Gebührenkommission (KEF) nicht einfach ablehnen. Andererseits ist der Ärger vieler Politiker über die Sendungen des Privatfernsehens unübersehbar, obwohl es ihre eigenen Parteien waren, die in den 1980er Jahren die Privatisierung forderten.

An konkreten Vorschlägen zur Strukturreform hat es bisher nicht gerade gemangelt: vom Verfahren der Bestimmung der Rundfunkgebühren über die Fusion von ARD-Anstalten bis zur Auflösung des ZDF. Dagegen lesen sich die Vorschläge der Autoren des vorliegenden Sammelbandes geradezu kleinkariert, wenn sie etwa am Beispiel eines Auskunftsbegehrens, das ein Seminar einer Fachhochschule formuliert hat, zeigen wollen, wie ignorant die Antworten der ARD sein können. Die ARD wäre gut beraten gewesen, die Studierenden einzuladen und – etwa bei einem Bier, wie es Obama unlängst praktizierte – auf alle ihre Fragen einzugehen. So hätte dieser eigentlich überflüssige Beitrag vermieden und das Vertrauen einer relevanten Zielgruppe wiederhergestellt werden können. Allerdings scheinen sich die Studenten in ihrer Rolle als Beleidigte zu gefallen.

Dennoch zeigen viele Beiträge des Bandes, dass die traditionellen Kritikpunkte an ARD und ZDF aktualisiert werden müssen – wie zum Beispiel die überproportionale Gebührensteigerung, der Umgang mit Skandalen im eigenen Haus und die Fragen der Rundfunkaufsicht. Sehr aufschlussreich ist etwa der Beitrag von Jörg-Uwe Nieland über das Beschwerdemanagement beim WDR. Hier wird nicht nur deutlich, wie schwer sich öffentlich-rechtliche Anstalten mit Kritik an ihren Sendungen tun, sondern auch, wie unsouverän der Zuschauer ist. So wird nebenbei auch der medienkompetente Zuschauer als eine Fiktion der Medienwissenschaft dekonstruiert.

Es ist müßig, Organisationen an ihren selbstgestellten Ansprüchen zu messen. Wer Wasser predigt, darf sich nicht beim Wein erwischen lassen. Wer zum Beispiel wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für Transparenz sorgen soll und sie von anderen einfordert, muss sich auch besonderen Anforderungen der Transparenz bezüglich des eigenen Verhaltens stellen. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der vorliegende Sammelband der Diskussion über die Legitimität und die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems weitere interessante und empirisch fundierte Argumente hinzufügt. Es bleibt zu hoffen, dass diese Argumente von den Akteuren aufgegriffen werden, die wirklich etwas verändern können. Die Beiträge sind fast durchweg lesenswert und geben bemerkenswerte Einblicke in das Innenleben von ARD und ZDF, die man in anderen medienwissenschaftlichen Beiträgen kaum findet.

Links:

Über das BuchJohannes Ludwig (Hrsg.): Sind ARD und ZDF noch zu retten? Tabuzonen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Reihe: Praxisforum Medienmanagement, Band 12. Baden-Baden [Nomos/Edition Reinhard Fischer] 2009, 288 Seiten, 22,– Euro.Empfohlene ZitierweiseJohannes Ludwig (Hrsg.): Sind ARD und ZDF noch zu retten?. von Mai, Manfred in rezensionen:kommunikation:medien, 1. September 2009, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/482
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