Kai Fehse: Neurokommunikation

Einzelrezension
8027 Aufrufe

Rezensiert von Andranik Tumasjan

Einzelrezension
Ob in den populären Medien oder in der wissenschaftlichen Literatur – neurowissenschaftliche Ansätze haben Konjunktur. Bereits in den 1990er Jahren wurde von US-Präsident Bush die “Decade of the Brain” ausgerufen und entsprechende Forschung stark gefördert. Auch in den Wirtschaftswissenschaften – insbesondere in der Ökonomie und im Marketing – hat sich in den letzten Jahren ein starkes Interesse für neurowissenschaftliche Ansätze herausgebildet, in dessen Folge sich seit einigen Jahren “Neuroökonomie” und “Neuromarketing” als Teildisziplinen zu etablieren beginnen. Dieser Entwicklung Rechnung tragend, befasst sich Kai Fehses 2009 erschienenes Buch Neurokommunikation mit dem Aspekt der Werbewirkungsforschung, indem es klassische sozialwissenschaftliche Erkenntnisse der Werbekommunikation mit aktuellen neurowissenschaftlichen Literatur integriert, um ein neues Modell der Werbewirkung, das CASE2-Modell, zu entwickeln.

Im ersten Teil des Buchs legt der Autor die kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen und lässt die klassischen sozialwissenschaftlichen Werbewirkungsmodelle Revue passieren. Wir lesen über das wohlbekannte AIDA-Modell und dessen Weiterentwicklungen, über Krugmans Konzept des Involvement bis hin zum Elaboration Likelihood-Modell von Petty und Cacioppo. Der Überblick ist informativ und unterhaltsam geschrieben und insbesondere die kurzen Einblendungen der historischen Hintergründe regen zur intensiveren Befassung mit Entstehungsgeschichte und -kontext der Modelle an. Der erzählerische Stil der der Darstellung erschwert es dem Leser jedoch etwas, sich einen raschen Überblick über die grundlegenden Annahmen und Aussagen dieser Modelle zu verschaffen. Eine Übersicht, in der alle besprochenen klassischen Modelle anhand ihrer Kernpunkte gegenübergestellt werden, wäre hierfür sehr hilfreich gewesen.

Im anschließenden Kapitel macht Fehse den Leser mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen der menschlichen Informationsverarbeitung bekannt. Im Fokus stehen die neurobiologischen Basisprozesse, die bei der Verarbeitung von (Werbe-)kommunikation relevant sind: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, Speicherung und Erinnerung sowie Bewertung und Entscheidung. Zu jedem Prozess werden neurowissenschaftliche Befunde vorgestellt und deren Rolle für die Werbekommunikation aufgezeigt. In diesem Teil werden zum ersten Mal auch Ergebnisse empirischer Studien aus dem Kernbereich des “Neuromarketing” vorgestellt. Der Autor betont mehrfach die bis zum heutigen Tag relativ geringe Anzahl von Neuromarketingstudien, was angesichts der hohen medialen Aufmerksamkeit zunächst verwunderlich erscheint, sich jedoch durch den noch immer sehr eingeschränkten Zugang von Sozialwissenschaftlern zu fMRT-Geräten und die noch sehr geringe institutionelle Verbreitung der Disziplin Neuromarketing erklären lässt. Daher zieht Fehse überwiegend die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung zu Rate und versucht deren Erkenntnisse – im ersten Schritt theoretisch – für die Werbewirkungsforschung nutzbar zu machen, was in diesem Buch gut gelingt.

Wie bildgebende Verfahren aus den Neurowissenschaften erfolgreich für sozialwissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Werbekommunikation genutzt werden können, illustriert der Autor sehr plastisch am Beispiel der Forschung zum Konzept der “Markenpersönlichkeit”. Die Frage, ob Markenpersönlichkeiten von Verbrauchern ähnlich wie menschliche Persönlichkeiten wahrgenommen und verarbeitet werden, wird durch eine entsprechende fMRT-Studie in Zweifel gezogen. Auf neuronaler Ebene zeigt sich, dass – anders als in der klassischen Arbeit von Jennifer Aaker angenommen – Marken eben nicht anhand ähnlicher Persönlichkeitsdimensionen wie Menschen kategorisiert werden. Eine Implikation dieser Erkenntnis ist, dass Markenpersönlichkeiten von Konsumenten weit weniger differenziert wahrgenommen werden als in bisherigen Modellen angenommen, und dass deswegen eher auf der Ebene “starke” versus “schwache” Markenpersönlichkeit nach dem Prinzip “The winner takes it all” differenziert wird als nach feineren Markenpersönlichkeitsunterschieden (wie z. B. der “Markensophistiziertheit”), was sich beispielsweise konsequent im Kaufverhalten von Coca-Cola zu Ungunsten von Pepsi widerspiegelt.

An die Überblicksdarstellungen der sozial- und neurowissenschaftlichen Erkenntnisse und deren Einordnung für die Werbewirkungsforschung schließt sich der zentrale Teil des Buches, die Entwicklung Fehses integrativen CASE2-Modells, an. Der neuartige Beitrag des Modells besteht hauptsächlich in der Unterscheidung einer “impliziten” (z. B. Worte, Geschichten, Rätsel, Neuigkeiten, Erfahrungen, Bedürfnisse usw.) versus “expliziten” (beispielweise Bilder, Stereotypen, Anmutungen, Corporate Design) Ebene der Kommunikation. Als Vorbild greift der Autor auf ähnliche Dichotomien, wie beispielsweise Krugmans “low” versus “high involvement” oder Slomans “assoziative” versus “regelbasierte Denkprozesse” sowie entsprechende neurowissenschaftliche dichotome Modelle (z. B. LeDoux’ “high road” versus “low road”) zurück. “CASE” steht für “communication stimuli”, “attention”, “storage” und “effect”, während die tiefgestellte “2” die beiden Ebenen (explizit und implizit) bezeichnet. Es wird angenommen, dass die vier Komponenten in dieser Reihenfolge eine Wirkungskette bilden, wobei im Modell auch Querverbindungen zwischen impliziter und expliziter Ebene definiert sind. Damit haben wir es, wie der Autor selbst schreibt, mit einer Weiterentwicklung und Kombination sowohl von klassischen Reiz-Reaktions-Schemata als auch von Stufenmodellen der Werbewirkung zu tun. Jedoch erleichtert die durch den Autor neu eingeführte Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Ebene der Werbewirkung die Ableitung neurowissenschaftlich begründeter praktischer Empfehlungen sowie teilweise auch Hinweise für weitergehende Forschung. So fasst Fehse abschließend seine praktischen Empfehlungen zusammen, indem er Werbetreibenden “zu einer mit eindeutigen Signalen versehenen, langfristig orientierten, im Gehirn auch unbewusst stimulierbaren ‘impliziten Markierung'” (242) rät und andererseits “ein durch auffällige, überraschende Stimuli angeregtes ‘explizites Verkaufen'” befürwortet (242).

Insgesamt legt der Autor mit diesem Buch eine sehr gelungene und unterhaltsam zu lesende Integration klassischer und neurowissenschaftlich begründeter Ansätze zur Werbewirkungsforschung vor. Etwas schade ist, dass die sprachliche und bildliche Darstellung des Materials das Potential nicht vollständig ausschöpft. So könnte das Buch insgesamt von einer fesselnderen und gleichzeitig prägnanteren Erzählweise profitieren. Auch das Innenlayout könnte in der nächsten Auflage im Sinne einer höheren Anschaulichkeit verbessert werden. Sehr erfreulich ist, dass durch Fehses Unterscheidung der impliziten und expliziten Ebene ein Versuch unternommen wird, mit der althergebrachten “Emotio-Ratio-Differenzierung”, die beispielsweise in Form des Erbes von Kroeber-Riels Wirken in der Branche nach wie vor weit verbreitet, jedoch neurowissenschaftlich nur schwer haltbar ist, zu brechen. Obwohl nicht zu erwarten ist, dass das CASE2-Modell die Werbepraxis oder -forschung grundlegend verändern wird (was erklärtermaßen auch nicht die Absicht des Autors ist), liefert es eine aktuelle, innovative und fruchtbare heuristische Grundlage für eine neurowissenschaftlich begründete Praxis der Werbekommunikation.

Literatur:

  • Aaker, J. (1997): Dimensions of brand personality. In: Journal of Marketing Research, 34, S. 347-356.

Links:

Über das BuchKai Fehse: Neurokommunikation. Ein Modell zur Wirkweise von Werbung im Lichte neuester Erkenntnisse der Hirnforschung. Reihe: Angewandte Medienforschung, Band 46. Baden-Baden [Nomos/Edition Reinhard Fischer] 2009, 262 Seiten, 29,- Euro.Empfohlene ZitierweiseKai Fehse: Neurokommunikation. von Tumasjan, Andranik in rezensionen:kommunikation:medien, 25. Juli 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/4329
Getagged mit: , ,
Veröffentlicht unter Einzelrezension