Christoph Meißelbach: Web 2.0 – Demokratie 3.0?

Einzelrezension
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Rezensiert von Christoph Bieber

Einzelrezension
Der Ende 2009 erschienene Band mit dem zahlenspielerischen Titel Web 2.0 – Demokratie 3.0? versucht sich an einer schwierigen Aufgabe. Auf gerade mal 126 Seiten (zuzüglich eines 20-seitigen Literaturverzeichnisses) setzt sich der Autor mit demokratischen Potenzialen des Internets auseinander, stellt dabei die technologischen Grundlagen der “GKI” (der Globalen Kommunikations-Infrastruktur) vor (Kap. 3), strukturiert den Gegenstand entlang politik- wissenschaftlicher (7. Kap.) und soziologischer (8. Kap.) Großtheorien, evaluiert Theorie und Empirie der digitalen Demokratie und wagt unter der etwas bemüht klingenden Überschrift “Politische Software – Es sind Updates verfügbar!” auch noch einen Ausblick in die Zukunft der politschen Online-Nutzung.

Angesichts dieses Tableaus scheint ein agenda overload unvermeidlich, und tatsächlich dürften sich die informierteren Leser fragen, ob die ausführliche Darstellung von “Diensten und Anwendungen” oder “basale Merkmale netzbasierter Kommunikation” notwendig waren, beziehungsweise wann denn nun neue Ideen, Quellen oder Einschätzungen und Modellierungen folgen mögen. Die Gliederung deutet auf die umständlichen Gene einer Qualifikationsarbeit hin und daher sollte man gar nicht so sehr den Autor als vielmehr den (oder die) Betreuer dafür kritisieren, dass die technologisch und kommunikations- wissenschaftlichen Deskriptionen (Kap. 3 bis 5) den durchaus spannenden Versuchen einer (demokratie)theoretischen Modellierung den Platz wegnehmen.

Dabei ist der Autor sehr wohl in der Lage, angesichts dieser Herkulesaufgabe in einem in den vergangenen Jahren zwar randständig, aber eben doch auch produktiv bearbeiteten Arbeitsbereich den Überblick zu behalten. Er pendelt zwischen der sich ständig selbst überholenden technologischen Empirie und dem ungleich haltbareren Katalog demokratie- und gesellschaftstheoretischer Entwürfe, insbesondere die zahlreichen Schaubilder sorgen für Klärung, da sie an verschiedenen Stellen synoptische Funktionen übernehmen.

Einen wichtigen Schlüssel für die Auseinandersetzung mit den Implikationen kompetitiver, pluralistischer und partizipatorischer Demokratietheorien liefert Meißelbach mit Hilfe der vier “Informationsfluss-Muster” Allokution, Konsultation, Registration und Konversation (45ff.). Dabei greift er auf zahlreiche Vorarbeiter zurück, die bereits vor fünf bis zehn Jahren festgestellt haben, dass die Neukonfiguration gesellschaftlicher Kommunikations- ströme auch die Verfassung demokratischer Systeme beeinflussen könnte. Insofern geht die Betrachtung zwar über “bislang verfügbare ad hoc-Argumentationen hinaus” (Klappentext), doch fügt sie der Debatte nur bedingt neue Impulse hinzu.

Dabei ließe sich die Diskussion um theoretische und empirische Implikationen der Digitalisierung durchaus anreichern, auch ohne eigenes empirisches Material zu erheben. So hätte es genügt, der eher theorie- und potenzialorientierten “europäischen” Linie den eher praxisorientierten US-amerikanischen Spiegel vorzuhalten – etwa so, wie es Howard Rheingold während seines in der deutschsprachigen Fachdebatte leider nicht angekommenen “Stanforder Disputs” mit Jürgen Habermas versucht hatte. So resultiert schließlich eine zwar anerkennenswerte Zusammenschau diverser demokratietheoretischer Zugriffe auf das Feld der digitalen Demokratie, deren Praxisferne sich jedoch schon im Schlusskapitel offenbart.

Der ausblickende Abschnitt zur “Politischen Software” und besonders das darin skizzierte “Bürgerportal” als (verwaltungsgebundenes) Rückgrat erscheint leider wenig realistisch – hier macht sich bemerkbar, dass aufgrund der Fokussierung auf die Kopplung des “GKI” mit den sozialwissenschaftlichen Groß-Theorien eine aktuelle Bestandsaufnahme mit der empirischen Dimension der digitalen Demokratie nicht hat stattfinden können. Denn längst sind die von Meißelbach modellierten Flussmuster in zahlreichen Prozessen, Strukturen und mit der Entstehung des neuen Politikfeldes “Digitale Bürgerrechte” auch auf der Inhaltsebene manifest geworden – ein solcher ‘reality check’ wäre ein natürlicher Anschluss für die hier vorgelegte Basisarbeit, der von den Zwängen des Formats erheblicher Gestaltungsraum genommen wurde.

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Über das BuchChristoph Meißelbach: Web 2.0 - Demokratie 3.0? Demokratische Potentiale des Internets. Reihe: medien SKRIPTEN, Band 55. Baden-Baden [Nomos] 2009, 148 Seiten, 20,- Euro.Empfohlene ZitierweiseChristoph Meißelbach: Web 2.0 – Demokratie 3.0?. von Bieber, Christoph in rezensionen:kommunikation:medien, 17. August 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2395
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