Simon Lindgren: Digital Media & Society

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Rezensiert von Evelyn Runge

Einzelrezension
Um das Lob gleich vorweg zu nehmen: Simon Lindgrens Buch Digital Media & Society ist ein Muss für alle, die sich für die Transformation der Gesellschaft interessieren, sowohl in theoretisch-kritischer wie in empirisch-praktischer Hinsicht. In vier Hauptkapiteln und 17 Subkapiteln geht Lindgren vielfältigen Theorien, Themen, Forschungsmethoden und -darstellungen nach. Unter anderem befasst sich Lindgren mit “Digital Society“ (3) und “Interaction and Identity“ (67), Konzepten wie “Digital Citizenship“ (145), “Digital Power and Exploitation“ (163) und “Software, Algorithms and Data“ (211). Abschließend zeigt der Autor auf, wie Forschungsdaten generiert werden können und vor welchen Herausforderungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stehen – sei es etwa im Ausbau einer Ethnografie des Internets (vgl. 263), sei es in der permanenten Reflexion und Weiterentwicklung ethischer Prinzipien in der Forschung im und durch das Internet (vgl. 238).

Jedes Kapitel beginnt mit Schlüsselfragen und Schlagwörtern, die prägnant zusammenfassen, was die Leserin erwartet. Die Kapitel sind modular aufgebaut; kurze Erklärungen zu Begriffen wie user-generated content (vgl. 41) oder Überblicksdarstellungen wie die Geschichte von Social Media (vgl. 29) sind Standard, ebenso Übungen, anhand derer sich Theorien gleich überdenken und an die Praxis anbinden lassen. Eine eigene Rubrik am Kapitelende listet weiterführende Leseempfehlungen auf, sowohl neuere Journalartikel als auch Klassiker wie etwa Erving Goffmanns The Presentation of the Self in Everyday Life (1959). Und das ist symptomatisch für Lindgren: Er greift in seinem Buch viele Klassiker etwa aus Soziologie und Anthropologie auf und verdeutlicht, dass Kernfragen der Gesellschaft auch bei Entwicklung und Implementation neuer Technologien wie digitalen Medien bestehen bleiben: “Just because society goes digital, it does not change at its core until people start using digital media in ways that produce transformative outcomes“ (292).

Dieser Ansatz zieht sich als roter Faden durch das Buch, ebenso die Überzeugung, dass diese Fragen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können und nicht dichotom cyberpessimistisch oder cyberoptimistisch sind: “[…] we must be aware that technology interacts continously with the social ecology in ways where one and the same technology can have widely different effects on society, depending on the context and on the circumstances. This means that a mobile phone, a tweet, a YouTube video, a link, or a like mean different things in different settings“ (289).

Soziale Transformationen sind multidimensional, komplex und unvorhersehbar, besonders in Technologie und Medien. Lindgren bezieht sich in seiner Argumentation unter anderem auch auf Arjun Appadurais Dimensionen der Globalisierung (Ethnoscapes, Mediascapes, Technoscapes, Financescapes, Ideoscapes) sowie Marshall McLuhans Ansatz, demzufolge “the change of scale or pace pattern that [any medium or technology, E.R.] introduces into human affaires“ (290) je nach Kontext differiert.

Der Autor versteht es hervorragend, Klassiker mit aktuellen Studien sowohl theoretischer als auch empirischer Natur zu verbinden. Dadurch verdeutlicht er das Potenzial kreativer Forschungsmethoden: Methoden, deren Wissenschaftler gerade in der begleitenden Erforschung der gegenwärtigen Transformationen zu einer digitalen – und vielleicht eines Tages einer post-digitalen (298) – Gesellschaft bedürfen. Eines der Projekte, die herausgehoben werden sollen, ist Daniel Millers beeindruckende ERC-Studie Why We Post (266ff.). Der Anthropologe und seine Kolleginnen und Kollegen haben neun Communities weltweit und ihren Alltagsgebrauch von Social Media untersucht. Ein Ergebnis ist, dass ‘das Internet‘ und soziale Medien eben nicht flächendeckend gleich verwendet werden: “An embedded approach to ethnography of the internet will lead the researcher to ask other questions beyond a cyberspatial approach“ (269). Die entstandenen Bücher von Miller und seiner Forschergruppe sind als Open Access herunterzuladen – ein Ansatz, den digital divide zu reduzieren (https://www.ucl.ac.uk/why-we-post).

Digital Media & Society von Simon Lindgren ist sowohl hervorragend geeignet als einführende Lektüre für Studierende als auch als Übersichtswerk für fortgeschrittene Forscherinnen und Forscher. Klar gegliedert und formuliert, mit Übungsvorschlägen und weiterführender Literatur ist das Buch zudem ein Vorbild, wie gute Lehrbücher geschrieben sein sollten: Es macht Freude zu lesen – und inspiriert zugleich zu neuen Ansätzen für die eigene Forschung.

Links:

Über das BuchSimon Lindgren: Digital Media & Society. London [Sage] 2017, 328 Seiten, 26,99 GBP.Empfohlene ZitierweiseSimon Lindgren: Digital Media & Society. von Runge, Evelyn in rezensionen:kommunikation:medien, 2. Oktober 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21440
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