Christian Schön: Die Sprache der Zeichen

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Rezensiert von Wibke Weber

Einzelrezension
Was haben ein Heavy-Metal-Konzert, der Bienentanz und die Zellteilung gemeinsam? Es sind Zeichenprozesse, die sich mit Hilfe der Semiotik entschlüsseln und deuten lassen. Wie – das beschreibt und erörtert der Germanist und Linguist Christian Schön in seiner illustrierten Geschichte über die Sprache der Zeichen. Die Frage, die das Buch antreibt, formuliert der Autor gleich zu Beginn: “Wie schaffen wir es, innerhalb einer sehr begrenzten Lebenszeit die Lesbarkeit einer Welt zu erhalten, die immer komplizierter wird und in der sich dem Menschen immer entferntere Lebensräume erschließen?“ (12) Schön bezieht sich hier auf den Philosophen Hans Blumenberg und dessen Werk Die Lesbarkeit der Welt (1981). Nach Blumenberg kann der Mensch nur so lange im Zentrum des Geschehens bleiben, wie er die Zeichen beherrscht.

Doch wie ist das möglich in einer zunehmend globalisierten Welt, in der täglich gewaltige Zeichenmengen produziert, vervielfältigt und manipuliert werden? Die Frage nach der Lesbarkeit der Zeichen stellt sich daher für Schön heute dringender denn je. In seinem Buch nimmt er die Leser mit auf eine Reise durch die Welt der Zeichen. Die 12 Kapitel behandeln dabei recht unterschiedliche Bereiche, etwa die Zeichen der Sprache, der Bilder, der Natur und Umwelt und die des Körpers.

Die ersten beiden Kapitel legen den Grundstein für das Buch. Hier erklärt Schön Begriffe und Grundlagen der Semiotik, wie etwa das semiotische Dreieck nach Odgen und Richards, das Organon-Modell von Bühler und Peirce Zeichenkategorien Index, Ikon und Symbol. Das dritte Kapitel lenkt den Blick auf die Echtheit von Zeichen und geht zurück zum Ursprung der Semiotik in der Medizin mit Fokus auf Psychoanalyse und Traumdeutung. Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Zeichen der geschriebenen und gesprochenen Sprache, dem Strukturalismus und dem sprachlichen Zeichenbegriff von de Saussure.

Darauf folgen Kapitel zum Zeichenprozess in Natur und Umwelt sowie des Körpers: Rituale, Tanz und Schauspiel als Zeichenpraxis in Alltag und Kultur. Ein weiteres Kapitel widmet Schön den Zeichen in Texten und Literatur und fragt: Was ist ein Text und was macht den Stil eines Textes aus? Auch die Bilder als Zeichen und ihre Grammatik werden in einem Kapitel thematisiert. Von den Bildern, Gemälden und Landkarten leitet der Autor dann über in die Zeichenwelt der Medien und Künste: Film und Werbung, Architektur und Design sowie Noten als grafische Zeichen.

Wie ein Exkurs liest sich das Kapitel über die rätselhaften Zeichen und Offenbarungen und die prognostischen Zeichenprozesse, deren Ziel es ist, zukünftige Entwicklungen bereits in der Gegenwart zu verankern (“die selbsterfüllende Prophezeiung“, 123). Am Ende des Buches geht Schön noch auf die Mensch-Maschine-Kommunikation ein, auf formale und künstliche Sprachen, Bits und Bytes sowie die künstliche Intelligenz, um dann mit dem letzten Kapitel den großen Bogen zu schlagen: vom Zeichenprozess zur Kultur als semiotischen Raum, denn für einige Zeichentheoretiker ist “die Gesamtheit der menschlichen Kultur letztlich nichts anderes als ein semiotisches Phänomen.“ (144) Das Buch endet mit einem historischen Überblick über 2500 Jahre Semiotik und ihre Theoretiker: angefangen bei Platon bis hin zu Julia Kristeva und Umberto Eco.

Christian Schön ist ein bemerkenswertes Werk über die Semiotik gelungen. Bemerkenswert, weil er ein komplexes und abstraktes Wissenschaftsgebiet verständlich erklärt: anschaulich, kompakt und kurzweilig, mit Infokästen, farbigen Illustrationen und Beispielen, die an die Erfahrungswelt der Leser anknüpfen. Trotz seines populärwissenschaftlichen Stils steht das Buch auf einem seriösen wissenschaftlichen Fundament. Schön stellt die wichtigsten semiotischen Modelle vor, ordnet sie ein in ihren theoretischen und historischen Kontext, nennt die relevanten Semiotiker und macht sie als Personen greifbar in Bild und Biografie. Der thematische Bogen ist dabei recht weit gespannt, was lobenswert ist, da die Leser so einen soliden und facettenreichen Einblick in die Welt der Zeichen und Semiotik erhalten.

Schön verfolgt das Ziel, die Semiotik möglichst umfassend wiederzugeben. Für den Laien wäre jedoch weniger sicherlich mehr gewesen. Germanisten und Linguisten mit entsprechender Fachexpertise werden den thematischen Ausflügen in die Biosemiotik, die Erzähltheorie oder Lotmans Kultursemiotik leicht folgen können. Für den interessierten Laien überspannt der Autor jedoch stellenweise den Bogen und verlangt dem Leser recht viel ab.

Schön bemüht sich, den roten Faden von der Lesbarkeit der Zeichen von Kapitel zu Kapitel weiterzuspinnen, was kein einfaches Unterfangen ist. Kapitel, wie die über die rätselhaften Zeichen und die Echtheit der Semiotik, wirken monolithisch und lassen das Buch mehr wie eine Anthologie erscheinen. Ein Querlesen ist für Laien jedoch nicht empfehlenswert, da die Kapitel aufeinander aufbauen und ein in den ersten Kapiteln vermitteltes Grundwissen voraussetzen.

Wem empfiehlt sich also dieses Buch? Sicher dem interessierten Laien, der sich in das Gebiet der Semiotik einlesen möchte. Ich könnte es mir zudem gut als propädeutische Lektüre für ein Studium in den Sprach- oder Kulturwissenschaften vorstellen, denn es gibt einen kompakten Überblick über die Geschichte der Semiotik und ihre wichtigsten Theoretiker. Als Lehrbuch dagegen eignet es sich weniger, denn hier zeigt das Buch erhebliche Lücken. Neuere Schulen in der Linguistik wie etwa die Sozialsemiotik, deren Theorie aus den Arbeiten des Linguisten M.A.K Halliday (1978) hervorgegangen ist, oder der Ansatz der Multimodalität, wie ihn Kress (2010, 2001) und van Leeuwen (2005) entwickelt haben, fehlen.

Fazit: Ich habe das Buch gern gelesen. Es hat mich inspiriert, den ein oder anderen Text zur Semiotik mal wieder nachzulesen.

Literatur:

  • Halliday, M. A. K.: Language as a Social Semiotic: The Social Interpretation of Language and Meaning, London [Arnold] 1978.
  • Kress, Gunther: Multimodality. A Social Semiotic Approach to Contemporary Communication. Abingdon [Routledge] 2010.
  • Kress, Gunther, van Leeuwen, Theo: Multimodal Discourse. The Modes and Media of Contemporary Communication. London [Arnold] 2001.
  • van Leeuwen, Theo: Introducing Social Semiotics, Abingdon. New York [Routledge] 2005.

Links:

Über das BuchChristian Schön: Die Sprache der Zeichen. Illustrierte Geschichte. Stuttgert [J.B. Metzler] 2016, 160 Seiten, 24,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseChristian Schön: Die Sprache der Zeichen. von Weber, Wibke in rezensionen:kommunikation:medien, 18. August 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20488
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