Michel op den Platz: „Männer sind… Und Frauen auch… Überleg dir das mal!“

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Martina Thiele

Einzelrezension
„Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen.“ Sagt dieser Satz alles über Loriots Sicht auf die Geschlechter? Ganz sicher nicht, so der Kulturwissenschaftler Michel op den Platz, und führt überzeugende Argumente an wider die heteronormative Lesart von Geschlechterbildern im Werk des beliebten Humoristen. In dessen Sketchen gehe es zwar immer um misslingende Kommunikation. Dass sie misslingt, habe aber nicht unbedingt mit Zweigeschlechtlichkeit zu tun. Als ,Beweis‘ beruft sich op den Platz auf ein weiteres Zitat, das den Titel seiner Publikation bildet: „Männer sind … Und Frauen auch … Überleg dir das mal!“

Bei diesem einen Zitat bleibt es nicht. Der Autor liefert im Verlauf seiner Darlegungen überzeugende Argumente dafür „dass die Darstellung von Geschlecht in Loriots Werk die Dichotomie von Frau und Mann eben nicht unreflektiert bestätigt, sondern vielmehr mit deren Wahrnehmung spielt – und auf diese Weise nichts Geringeres eröffnet als ein Kontinuum, in dem die kulturelle Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit bei jedem Sketch neu und anders verhandelt wird“ (S. 11).

Darüber hinaus bietet der Essay durch die akribische Auswertung wissenschaftlicher wie nicht-wissenschaftlicher Quellen reichlich Gelegenheit, über Loriot und seine Kunst Neues, so vielleicht noch nicht Betrachtetes zu erfahren. Dabei geht es nicht nur um Geschlecht und Dekonstruktion, sondern auch um Ordnung und ihre Zerstörung, Subversion und Unterhaltung.

Wie ertragreich ein queer reading ist, demonstriert der Autor durch die Analyse dreier Sketche („Frühstück“, „Garderobe“ und „Aufbruch“) aus der so genannten „Ehegespräche-Trilogie“. Die Dialogtranskripte bilden mit dem Literaturverzeichnis den Anhang des insgesamt 138 Seiten umfassenden, höchst lesenswerten Textes. Lesenswert deshalb, weil der Autor Zitate aus Interviews mit Vicco von Bülow, queertheoretische und literaturwissenschaftliche Erkenntnisse, Dialoge aus den Sketchen und Philosophisches so komponiert, dass unweigerlich die Frage aufkommt: Wer ist dieser Michel op den Platz?

Dem Klappentext ist zu entnehmen, dass der Autor Literatur- und Kulturtheorie in Tübingen studiert hat. Ein DAAD-Stipendium führte ihn 2011 an die indische Pune University, wo er „im Feminismus-Seminar beschloss, die akademische Sicht auf Loriots Werk ein wenig nachzujustieren“. Entsprechend lautet die Überschrift seines ersten Kapitels: Das Bild hängt schief! Loriot queer gelesen. Op den Platz löst jedoch anders als der Besucher im Loriot-Sketch durch das Geraderücken eines Bildes kein Riesenchaos aus. Seine in zwei weiteren Kapiteln versammelten Argumente für ein queer reading sind schlüssig und basieren auf gründlicher literaturwissenschaftlicher Recherche sowie Textanalyse. Seine Übersetzung von „queer“ als „irgendwie daneben“ ist treffend und durch Verweise auf wissenschaftliche Autoritäten wie Judith Butler, Annamarie Jagose, Eve Kosofsky Sedgwick oder Michel Foucault gedeckt. Diese Übersetzung ist zusätzlich gestützt durch eine Aussage Vicco von Bülows selbst, der in seiner Kunst, „lediglich versuche, einen ganz kleinen Schritt daneben zu sein, um deutlich zu machen, wie grotesk eigentlich ist, was wir täglich erleben“ (S. 10).

Ob Ambiguität oder Performanz, Diskurs oder Heteronormativität – der Autor nutzt das Begriffs-Arsenal poststrukturalistischer Kulturkritik, um altbekannte und inzwischen zum Allgemeingut gehörende Loriot-Sketche neu und anders und sehr viel tiefergehender zu deuten, als das bislang der Fall war. So zeigt z.B. die Analyse einer Parallelkonstruktion im Sketch „Garderobe“ (S. 82), dass das Gespräch der Eheleute über parteipolitische Präferenzen ähnlich banal verläuft wie das über das passende Kleid. Karl-Heinz findet „die Roten gut und die Schwarzen auch nicht schlecht“. Und letztlich ist es ihm egal, was seine Frau anhat. So wie ihr in einem anderen Sketch (vgl. S. 18) die Überlegungen ihres Gatten zu medial erzeugter Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit herzlich egal sind:

Er: […] Also: auf dem Bildschirm sieht man natürlich mehr als in Wirklichkeit… wir haben im Fernsehen zum Beispiel schon Maulwürfe, Pinguine und ausschlüpfende Kleidermotten gesehen… [… U]nd in Wirklichkeit… also auch bei uns im Garten… könnten wir das persönlich nicht sehen… auch wenn es da wäre!

Sie: (enerviert, langsam, mit Nachdruck): Wenn in unserem Garten ein Pinguin wäre, würde ich ihn sehen… mit oder ohne Kamera!

Beide Dialog-Zitate belegen, dass dem feinen Beobachter Vicco von Bülow Allzumenschliches nicht fremd war. Dies zieht sich ebenso durch andere Schöpfungen Loriots wie seine Komödie Ödipussi, das geschlechtlich undefiniert bleibende Enkelkind Dicki Hoppenstedt, der Rollen- und Kleidertausch auf dem Moderationssofa oder Jodeldiplome, die Frauen bestätigen, „was Eigenes“ zu haben und Maskenbildner, die „so nicht arbeiten können“. Sein Werk erfordert geradezu ein queer reading. Seltsam eigentlich, dass das bislang so wenigen Queertheoretiker*innen aufgefallen ist.

Literatur:

  • Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1991.
  • Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit I. Der Wille zum Wissen. 9. Auflage. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1997.
  • Jagose, Annamarie: Queer Theory. An Introduction. New York [New York University Press] 1996.
  • Kosofsky Sedgwick, Eve: Touching Feeling. Affect, Pedagogiy, Performativity. 2. Auflage. Durham/London [Duke University] 2004.

Links:

Über das BuchMichel op den Platz: „Männer sind… Und Frauen auch… Ãœberleg dir das mal!“ Wider die heteronormative Lesart von Geschlechterbildern im Werk Loriots. Würzburg [Königshausen & Neumann] 2016, 138 Seiten, 24;- Euro.Empfohlene ZitierweiseMichel op den Platz: „Männer sind… Und Frauen auch… Überleg dir das mal!“. von Thiele, Martina in rezensionen:kommunikation:medien, 19. Juni 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20277
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