Dieter Witschen: Ethische Kommunikation

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Rezensiert von Simone Horstmann

Einzelrezension
Die ethische Kommunikation der Kirche im öffentlichen Raum – hinter dieser Formel verbirgt sich ein Spannungsreichtum, der bisweilen begrüßt wird (etwa wenn sich Kirche gegen populistische Politik ausspricht), der aber auch enormen Widerspruch (etwa in sexualethischen Belangen) auszulösen vermag. Zwar trägt die katholische Kirche, die hier gemeint ist, das Moment von Kommunikation in ihren entscheidenden Vollzugsformen bereits begrifflich in sich – man denke an die Kommunion oder an den Communio-Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils. Gleichwohl kann man sich selbst innerkirchlich nicht des Eindrucks erwehren, dass das kirchliche Verständnis von ethischer Kommunikation weitaus weniger vom etymologischen Rückgriff auf die com-munus, die gemeinsame Aufgabe, als vielmehr von der com-moenia, der gemeinsamen Mauer, getragen scheint.

Dieter Witschens Bestandsaufnahme trägt wohl auch deshalb den Titel Ethische Kommunikation. Sie markiert die Erwartung, dass kirchliche Kommunikation gerade nicht dem scheinbar einfachen Gestus des Moralisierens zu entsprechen habe, sondern auch vor dem Forum ihrer Reflexionsebene, also der Ethik, zu bestehen vermag. Der Untertitel nimmt eine ebenso wichtige Weichenstellung vorweg und verweist auf die Kirche als Akteurin zwischen zivilgesellschaftlichen Ansprüchen und ethischer Reflexion. Als Autor kann Witschen für sich beanspruchen, in allen drei Resonanzräumen beheimatet und kundig zu sein: Vor seiner Tätigkeit im Bischöflichen Offizialat Osnabrück war er als Moraltheologe an der Universität Münster beschäftigt und hat sich mit einschlägigen, überwiegend individual-ethischen Publikationen hervorgetan.

Auf dieser Basis beschreibt Witschen die katholische Kirche als „[…] eine unter vielen Akteurinnen innerhalb der Gesellschaft“ (S. 7), sie agiert „weder jenseits der Gesellschaft noch als anderen Sozialgebilden übergeordnet“ (S. 8). Aus dieser weder-noch-Definition leitet Witschen das wesentliche Problem und die Notwendigkeit ethisch angemessener Kommunikation her. Das Spannungspotenzial von Kirche und Gesellschaft wird bewusst klein angesetzt: Es hindere Witschen zufolge nicht daran, die Kirche zum Reigen der zivilgesellschaftlichen Akteure zu rechnen (vgl. S. 23-38). Ein beträchtlicher argumentativer Aufwand, der den ersten Teil des Bandes darstellt, soll daher verdeutlichen, dass die Kirche in der Moderne als zivilgesellschaftliche Akteurin verstanden werden kann (vgl. S. 23-38). Diese Einschätzung wird gut nachvollziehbar mit der historischen Überwindung der Dyade von Staat und Kirche zugunsten der Triade von Staat, Kirche und Gesellschaft begründet (S. 25f.); insbesondere die Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft stellt der Autor durch drei mögliche Verhältnisbestimmungen vor: des Gegenübers, des Ineinanders und des Miteinanders (vgl. S. 27-30). Sie haben für den Leser einen diagnostischen Wert, da sie die eigene Perspektive auf das kommunikative Verhältnis von Kirche und Gesellschaft schärfen können. Witschen selbst legt sich nicht fest, man vermisst daher bisweilen ein Position beziehendes Statement zu der Frage, wie sich der Autor diese Verbindung normativ vorstellt.

Diese Unklarheit produziert Ergebnisse, die geeignet sind, die faktischen Spannungen zwischen den drei Modellen zu unterlaufen und Eindeutigkeit dort zu suggerieren, wo sie nicht bestehen muss: „Da das Wirken der Kirche unter unterschiedlichen Rücksichten betrachtet werden kann […], muss es auch nicht widersprüchlich sein, dass sie einerseits als soziales Gebilde in der Zivilgesellschaft verortet [wird] und andererseits als Institution vertragliche Vereinbarungen mit dem jeweiligen Staat trifft“ (S. 30).

Die Entscheidung über das genaue Zuordnungsverhältnis der Kirche zu Staat und Gesellschaft, mithin also auch die Auswahl der angemessenen Kommunikationsmittel, schreibt Witschen im Folgenden der Ethik zu: „Wenn [die Kirche] aus der Perspektive christlicher Ethik triftige Gründe dafür hat, tritt sie für Sichtweisen, Überzeugungen und Lebensformen ein, die quer zum Mainstream stehen oder in der Gesellschaft üblicherweise kaum einen Platz haben“ (vgl. S. 31). Diese grundlegende These ist mutig, aber auch sehr kritisch anzufragen – unter anderem deswegen, weil sie eine unklare Sprecherposition einführt, die der kirchlichen Ethik eine institutionell anmutende Selbstständigkeit zuschreibt. Diese entspricht jedoch mitnichten der Realität, sofern man sie nicht mit dem kirchlichen Lehramt gleichsetzen mag.

Trotzdem prägt diese Festlegung auch die folgenden Kapitel des Bandes. Sie bilden nach dem ersten Kapitel zur zivilgesellschaftlichen Rolle der Kirche den eigentlichen Hauptteil, in dem der Autor mögliche Kommunikationsformen auflistet und diese erläutert (S. 39-130). Die Ethik ist für Witschen der Grundmodus kirchlicher Kommunikation schlechthin, so dass er in insgesamt 17 Unterkapiteln verschiedene Ausprägungen kirchlich-ethischer Rede referiert. Diese sind, wie er selbst einräumt, „in additiver Form und ohne Anspruch auf Vollständigkeit“ (S. 130) dargestellt. Angefangen mit der Argumentation, über Typen der so genannten Paränese (der mahnenden Predigt) hin zu beratenden, einladenden, mediatorischen oder auch autoritativen Sprachformen wird ein Panorama der ethischen Kommunikation von Kirche vorgestellt. Diese Aufstellung beeindruckt bereits insofern, als sie diese Sprachfähigkeit von der Engführung auf normative Aussagen befreit.

Auch kirchlich bisweilen vernachlässigte Kommunikationsformen wie die narrative Rede (S. 107ff.) oder gar das Schweigen (S. 128f.) finden hier ihren Platz. Dass die Sprachmöglichkeiten zugleich weitgehend unverbunden nebeneinander stehen, macht die Auflistung allerdings beliebig. Der bloße Hinweis auf die praktische Vernunft reicht nicht aus, um die Passung von Situation, Absicht, Kontext und Rezipienten der Kommunikation zu ermitteln. Bisweilen werden immerhin Verbindungen angedeutet, etwa zum Verhältnis von ethischer Argumentation und Paränese: Letztere habe zur Voraussetzung, „dass unter den Teilnehmern der Kommunikation ein Konsens darüber besteht, was das moralisch Richtige bzw. Falsche ist“ (S. 69). Unklar bleibt, ob dieses Ideal selbst binnenkirchlich realisierbar und auch kommunikationstheoretisch tatsächlich wünschenswert sein kann.

So fordert der Band häufiger Nachfragen heraus, die auch dem bisweilen apodiktischen Stil des Autors geschuldet sind. Insgesamt aber ermöglicht er einen inspirierenden Einblick in das weite Portfolio kirchlich-ethischer Redeformen, denen im Sinne einer gelingenden Kommunikationskultur zu wünschen ist, zukünftig noch stärker wahrgenommen zu werden.

Links:

Über das BuchDieter Witschen: Ethische Kommunikation. Zivilgesellschaft – Kirche – Sozialethik. Paderborn [Ferdinand Schöningh] 2016, 131 Seiten, 19,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseDieter Witschen: Ethische Kommunikation. von Horstmann, Simone in rezensionen:kommunikation:medien, 29. Mai 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20171
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