Lutz Mükke: Korrespondenten im Kalten Krieg

Einzelrezension
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Rezensiert von Irmgard Wetzstein

Korrespondenten im Kalten KriegEinzelrezension
Die Auseinandersetzung mit journalistischer Auslandsberichterstattung ist bekanntermaßen ein Dauerbrenner in der kommunikationswissenschaftlichen Fachdisziplin, insbesondere im Zusammenhang mit politischen Krisen und Konflikten. Neben den vorwiegend inhaltsanalytischen Beiträgen zu diesem Themenbereich ist dabei auch die Arbeit und Sicht von AuslandskorrespondentInnen im Zentrum des Interesses, wie etwa im Fall des für r:k:m vor längerem rezensierten Buches Die Vorkämpfer. Wie Journalisten über die Welt im Ausnahmezustand berichten von Stephan Weichert und Leif Kramp (2011). Nun liegt ein weiteres Buch vor, das die Thematik bedient, allerdings aus einer historischen Perspektive.

Das knapp 440 Seiten umfassende Buch Korrespondenten im Kalten Krieg. Zwischen Propaganda und Selbstbehauptung ist eine Auswahl problemzentrierter Leitfadeninterviews mit während des Kalten Krieges aktiven AuslandskorrespondentInnen aus der ehemaligen DDR und der BRD über deren Rollenverständnisse und die Arbeitsbedingungen in dieser Zeitperiode. Die Interviews entstanden im Rahmen von Projektseminaren an der Universität Leipzig, und für das vorliegende Buch ausgewählt wurden dabei solche Gespräche, “denen eine gewisse Qualität, Reflexionskraft und Erkenntnisgewinn zugesprochen wird“ (13), wie der Autor Lutz Mükke im einleitenden Kapitel feststellt.

Dort beschreibt er auch das Ablehnen von Interviewanfragen und den Abbruch bereits bestehender Kooperationen durch InterviewpartnerInnen etwa aufgrund der Konfrontation mit deren “nachweisbaren Falschaussagen in Bezug auf fragwürdige Arbeitspraktiken, Berichterstattung und Rollenverständnisse – etwa bei der Vermischung von Propaganda und PR und Journalismus oder bei geheimdienstlichen Hintergründen“ (14) als Schwierigkeiten während der Projektarbeit. Sehr viel mehr ist über die methodische Herangehensweise, den Forschungsprozess sowie Selektionskriterien für die Aufnahme von Interviews in das Buch nicht zu erfahren, jedoch erleichtert das recht umfangreiche Einleitungskapitel die inhaltliche Einordnung der Interviews in zeitgeschichtliche und politische Kontexte, wenn beispielsweise konkrete historische Ereignisse und Gegebenheiten, mit denen die KorrespondentInnen aufgrund ihrer Arbeit befasst waren (z. B. sandinistische Revolution, 68er-Bewegung in Paris, Ereignisse im damaligen Apartheid-Staat Südafrika, Bergarbeiterstreiks in England 1984/85, Olympia 1980 u.v.m.), vorab zusammengefasst und die Rolle von Massenmedien und AuslandskorrespondentInnen im Kalten Krieg sowie die Schwierigkeiten, Herausforderungen und Ausgestaltung journalistischer Arbeit in den vorherrschenden politischen Systemen erläutert werden.

Hauptteil des Buches sind die bereits erwähnten Interviews, 17 an der Zahl – darunter etwa mit Lothar Loewe (ARD), Paul M. Schumacher (Spiegel), Ralf Bachmann (u.a. DDR-Nachrichtenagentur ADN) und Heike Schneider (u.a. Korrespondentin für das DDR-Radio) als einziger weiblicher Interviewpartnerin, was vermutlich dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass das Berufsfeld Auslandskorrespondenz damals noch mehr als heute ein männlich dominiertes darstellte. Formal-strukturell erinnert der Aufbau der Interviews an den Stil politischer Print-Nachrichtenmagazine, wenn beispielsweise Fotografien zur illustrativen Bebilderung oder Dokumente zur Untermauerung eines Sachverhalts gezeigt werden, ein kurzer Vorspann über Interviewinhalte und eine Kurzbiografie über die InterviewpartnerInnen informiert. Ein kurzes Zitat aus dem jeweiligen Interview bildet die Überschrift eines jeden Interviews, das damit bereits einen ersten Hinweis auf die sehr individuellen Erfahrungen mit und Sichtweisen auf den AuslandskorresponentInnenberuf (sehr viel seltener auf private bzw. familiäre Umstände, wie etwa im Fall des Interviews mit Heike Schneider) gibt. Die Überschriften lauten dann beispielsweise: “Die CIA-Kontakte konnte ich zu Hause anrufen“ (Interview mit Lothar Loewe), “Wir haben uns dann geprügelt, der Staatssekretär und ich“ (Interview mit Paul M. Schumacher), “Wir waren nicht Speerspitzen. Wir wollten Brückenbauer sein“ (Interview mit Ralf Bachmann) und “Mitten im Kriegselend fand ich Familienglück“ (Interview mit Heike Schneider).

Inhaltlich sind die Interviews aufgrund der vielfältigen Geschichten, die darin sehr anschaulich erzählt werden, schwierig in einem hier angemessenen Rahmen zusammenzufassen. Eine zusammenfassende (inhalts-)analytische Auseinandersetzung mit den Interviews bleibt auch im Buch aus. Was über die Interviews insgesamt jedoch gesagt werden kann, ist, dass sie streckenweise sehr spannend zu lesen sind und teilweise auch investigativen Charakter aufweisen, insbesondere, wenn Korrespondenten wie Ralf Bachmann über ihre geheimdienstlichen Aktivitäten und Kontakte bzw. Spionagetätigkeiten berichten (Bachmann tut dies im vorliegenden Buch laut Mükke erstmalig) oder Lothar Loewes Ausweisung aus der DDR im Jahr 1976 thematisiert wird. Neben Erläuterungen von in historischen Kontexten zu verortenden Gegebenheiten und auch Befunden zu innerer und äußerer Pressefreiheit zur jeweiligen Zeit und im jeweiligen Kontext werden in den Interviews auch weitergefasste und im kommunikationswissenschaftlichen Diskurs stets aktuelle Fragestellungen in Bezug auf emotionales Involviertsein und der Bedeutung und Möglichkeit von Objektivität und Wahrhaftigkeit im Zusammenhang mit journalistischer Berichterstattung aus Krisen- und Kriegsgebieten reflektiert (Interview mit Heike Schneider).

Insofern erweist sich das Buch für jede und jeden empfehlenswert, die/der bereits vom Beruf des/der AuslandskorrespondentIn fasziniert ist oder sich faszinieren lassen möchte. Sich als empirische SozialforscherInnen verstehende KommunikationswissenschaftlerInnen mögen eventuell eine systematische Analyse der Interviews als fehlend diagnostizieren und einwenden, dass oben erwähnte Auswahl der Interviews für das Buch sowie methodische Herangehensweisen transparenter gemacht und entsprechend ausführlicher beschrieben werden sollten. Jedoch werden auch thematisch affine JournalismusforscherInnen und, wie angenommen werden kann, HistorikerInnen, durch das vorliegende Buch vermutlich neue Perspektiven auf den AuslandskorrespondentInnenberuf insbesondere während des Kalten Krieges erfahren, wenn etwa anschaulich anhand konkreter Ereignisse und erzählter Anekdoten Auswirkungen der Verzahnung von Massenmedien und dem jeweiligen politischen System auf die journalistische Praxis beschrieben werden. Alles in allem liegt die Stärke des vorliegenden Buches vor allem darin: dass in kommunikationswissenschaftlicher Literatur oft recht abstrakt thematisierte Systemzwänge anhand konkreter Ereignisse veranschaulicht und greifbar gemacht werden.

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Über das BuchLutz Mükke: Korrespondenten im Kalten Krieg. Zwischen Propaganda und Selbstbehauptung. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2014, 442 Seiten, 28,- Euro.Empfohlene ZitierweiseLutz Mükke: Korrespondenten im Kalten Krieg. von Wetzstein, Irmgard in rezensionen:kommunikation:medien, 22. Januar 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18899
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