Gregory Ferrell Lowe, Fiona Martin (Hrsg.): The Value of Public Service Media

Einzelrezension
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Rezensiert von Hardy Gundlach

The Value of Public Service MediaEinzelrezension
The Value of Public Service Media, die öffentlichen Aufgaben und der Wert der Public Service Media (PSM) stehen im 21. Jahrhundert auf dem Prüfstand. Insbesondere die Internet- und Digitalstrategien des Public Service Broadcasting (PSB) in Verbindung mit den öffentlichen Aufgaben sowie der öffentlichen Finanzierung veranlassen zu Debatten über den Wert des PSM für die Gesellschaften der europäischen Mitgliedstaaten. An diese Debatten knüpft der Sammelband an, den Fiona Martin und Gregory Ferrell Lowe herausgegeben haben.

In dem Sammelband spielt ‘Public Service Media‘ (PSM) eine herausragende Rolle. Der Begriff erfasst die Weiterentwicklung des öffentlichen Auftrags des Public Service Broadcasting (PSB, in Deutschland: öffentlich-rechtlicher Rundfunk). Die Herausgeber begreifen und diskutieren diese Weiterentwicklung als eine Transformation des PSB in PSM. Das PSB erfüllt in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Public-Service-Funktionen bzw. öffentliche Aufträge. Im Zuge der Medienkonvergenz wandelt sich das PSB durch den Aufbau von digitalen audiovisuellen Diensten und Online-Angeboten in PSM. Allerdings führen die Internet- und Digitalstrategien des PSB zu Zielkonflikten mit der europäischen Wettbewerbspolitik. Diese Zielkonflikte bedürfen der politischen Klärung. Insbesondere Verlage und private Fernsehsender befürchten einen aus privatwirtschaftlicher Sicht unfairen Wettbewerb im Internet durch öffentliche Unternehmen, der die Entwicklung ihrer Wettbewerbs- und Geschäftschancen behindert bzw. sogar verhindert. Neoliberale Wirtschaftskonzepte verstärken zusätzlich die Debatten, da die Ziele dieser Wirtschaftspolitik seit den 1980er Jahren die Politiken der EU-Mitgliedstaaten und insbesondere das EU-Binnenmarktprojekt prägen. Aufgrund der Spannungsverhältnisse zwischen dem öffentlichen Auftrag des PSB und den wirtschaftlichen Zielen haben einige Mitgliedstaaten spezifische Genehmigungsverfahren, sog. Ex-ante-Tests, für die neuen audiovisuellen Dienste des PSB eingeführt.

Der Sammelband verbindet die Debatte zu den PSM mit dem Public Value Management. Das Konzept des Public Value Managements liefert den übergreifenden Bezugsrahmen für die Einzelbeiträge des Bandes. Mark H. Moore hat dieses Konzept an der US-amerikanischen Harvard Kennedy School of Government entwickelt. Eine Anzahl wissenschaftlicher, kritischer und vergleichender Einzelbeiträge untersucht das Konzept, seine Ursprünge, Begründung und praktische Auswirkung. Auf welche Art und Weise Public Value geschaffen werden kann, wird nicht nur im Kontext von Politikkonzepten, Managementdoktrinen und wissenschaftlichen Theorien, sondern auch in konkreten Anwendungsbeispielen analysiert. Wie einflussreich die Rolle dieses Konzepts ist, verdeutlichen u. a. die Beiträge von Fiona Martin und Gregory Ferrell Lowe (23 ff.), James Spigelman (47–54), Michael Tracey (97 ff.), Stoyan Radoslavov (210–212) und von Tim Raats, Karen Donders und Caroline Pauwels (265–267).

Initiiert wurde der Sammelband von der Initiative RIPE. Die Abkürzung steht für “Re-visionary Interpretations of the Public Enterprise“. Es handelt sich hierbei um ein internationales Netzwerk von WissenschaftlerInnen, die sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten besonders für die Public-Service-Medien interessieren. Alle zwei Jahre findet eine Fachkonferenz statt; ein Forum, das der wissenschaftlichen und kritischen Expertise zu den öffentlichen Aufgaben des PSB und seines Beitrags zum Gemeinwohl und zum Creating Public Value dient. Dabei bringen die Konferenzen auch die Wissenschaftler mit den Vertretern der Organisationen des PSB zusammen, sofern es sich dabei um das PSB offener, demokratischer Gesellschaften handelt. Der vorliegende Band geht auf die Konferenz RIPE@2012 zurück, die unter dem Konferenztitel ‘Value for Public Money – Money for Public Value an der University of Sydney in Australien stattfand. Die Konferenz wurde von der Australian Broadcasting Corporation ABC gesponsert. RIPE@2012 war die sechste Konferenz und die erste, die außerhalb Europas durchgeführt wurde. Eine Entwicklung, die mit der RIPE@2014 in Tokyo fortgesetzt wurde. Die RIPE@2016 wird in Antwerpen stattfinden.

Um die Initiative verstehen zu können, muss man wissen, dass sie in einem engen Zusammenhang mit der Entwicklung des europäischen Binnenmarktes und dem Amsterdamer Protokoll steht. Mit der Übertragung einer öffentlichen Aufgabe durch die öffentliche Hand auf eine Organisation sind in der Regel auch Ausnahmebereichsregeln für den Wettbewerb verbunden, wie dies z. B. bei der Finanzierung von PSM mit öffentlichen Geldern der Fall ist. Solche Ausnahmebereichsregeln können in Konflikt geraten mit der europäischen Wettbewerbsordnung, insbesondere zur Beihilfekontrolle der Europäischen Kommission. Angesichts dieses EU-Ordnungsrahmens ist das Amsterdamer Protokoll von wesentlicher Bedeutung für die politische Legitimität des PSB im europäischen Binnenmarkt. Das Protokoll wird als ‘Amsterdamer Protokoll‘ bezeichnet (Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten; frz. Le système de radiodiffusion publique; engl. System of Public Broadcasting; Protokoll Nr. 29, EUV/ArbeitEUV, Lissabon), weil sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU während eines Gipfeltreffens in Amsterdam am 17.6.1997 darauf einigten.

Das Protokoll charakterisiert das PSB als ein wichtiges Instrument für die demokratischen, kulturellen und sozialen Bedürfnisse der EU-Mitgliedsländer. Zugleich spiegelt es aber auch die oben genannten fundamentalen Spannungen wider, die mit der Entwicklung des europäischen Binnenmarktes und dem starken Interesse an der europäischen Wettbewerbspolitik verbunden sind. Das Protokoll stellt klar: Der übereinstimmende Wille aller Mitgliedstaaten sei, dass es ihre eigene Sache ist, den Aufgabenbereich des PSB zu bestimmen. Deshalb hat das Protokoll zu einem fortlaufenden Prozess der Konkretisierung des öffentlichen Auftrags und der Klärung der Zuständigkeit für das PSB in den jeweiligen Mitgliedstaaten geführt, unter anderem auch zur Einführung von Ex-ante-Tests (in Großbritannien public value test, in Deutschland Drei-Stufen-Test). Diese politischen Klärungsprozesse waren aufgrund der neueren Digital- und Internetstrategien des PSB notwendig, da die ursprünglichen Public-Service-Aufträge vor allem für Fernsehen und Radio formuliert waren.

Der Sammelband besteht aus drei Abschnitten: I. Defining & Critiquing Public Value, II. Dimensions of Contemporary Public Service Value, III. Public Service Value in Practice. Darauf verteilen sich 13 Einzelbeiträge. Der Sammelband startet mit einem Vorwort der Herausgeber und einem Vorwort des ehemaligen Direktoriumsmitgliedes des australischen Public Broadcasters ABC Paul Chadwick. Daran schließen sich thematische Einführungen der Herausgeber (‘The Value and Values of Public Service Media’) und des Vorstandsvorsitzenden der gastgebenden Australian Broadcasting Corporation (ABC), James Spigelman, an. James Spigelman gibt einen Überblick (‘Defining Public Value in the Age of Information Abundance’) zu den aktuellen Herausforderungen des PSB. Die beiden zuletzt genannten Beiträge geben insgesamt einen informativen Einblick in die aktuelle Debatte zum PSM.

Der Transformationsprozess des PSB ist nicht neu, er findet bereits seit den 1980er Jahren statt. Der Strukturwandel wird seit dieser Zeit von neoliberal ausgerichteten Wirtschaftspolitiken und verschiedenen Maßnahmen der Deregulierung und Marktöffnung angetrieben. Die Transformation hat einen Wandel der Institutionen des PSB hin zu Organisationen bewirkt, die als öffentliche Unternehmen handeln bzw. handeln sollen. Im Zuge dieses Wandels haben betriebswirtschaftliche Instrumente (häufig als ‘neue Steuerungsmodelle‘ oder ‘new public management’ bezeichnet) zur Effizienzsicherung (insbes. Controlling, Benchmarking, Marketing), zur Ergebnisorientierung (Performance Management and Measurement, z. B. Management by Objectives [MbO], und insbesondere Vertragsmanagement) und zur Rechenschaftslegung (accountability, insbesondere Selbstregulierung mittels Selbstverpflichtungen) an Bedeutung gewonnen.

Im zweiten Teil des Bandes geben vor diesem Hintergrund Hallvard Moe und Hilde van den Bulck einen Überblick über das Public-Value-Konzept. Die aktuelle Managementdoktrin nimmt diesen Wandel auf und gibt dazu Strategieempfehlungen für das Public Management. Die beiden folgenden Kapitel von Peter Goodwin und Michael Tracey analysieren und kritisieren die neoliberalen Wirtschaftskonzeptionen. Zu dieser Kritik der Wirtschaftskonzepte hätte die Praxisanalyse von Karen Donders und Hilde van den Bulck gepasst. Sie findet aber erst an späterer Stelle im zweiten Kapitel statt. Die Autorinnen analysieren die Entwicklung nicht anhand von Konzepten, sondern im Rahmen einer Analyse des tatsächlichen Aushandlungs- und Konsultationsprozesses zur Erneuerung des fünfjährigen Ziel-Mittel-Vertrags (Ziel- und Leistungsvereinbarungen, Management Contract) zwischen der belgischen (Teil-)Regierung von Flandern und dem flanderischen Public Service Broadcasting (Vlaamse Radio- en Televisieomroeporganisatie VRT) für die Periode 2012–2016. Der Beitrag liefert einen hochinteressanten Einblick in die Praxis der Ziel-Mittel-Verträge. Denn solche Verträge empfiehlt explizit die neoliberale Wirtschaftspolitik als “neue Steuerungsmodelle“ für die öffentliche Wirtschaft. Dabei liegt der Fokus der Autorinnen auf der Rolle, die der technische Wandel (digital argument) für die aktuelle Auftragskonkretisierung spielt, die zwischen den Vertragspartnern und den weiteren beteiligten Interessengruppen vereinbart wurde. Über diesen Teil der Auftragskonkretisierung ließ sich im Ergebnis keine Einigung erzielen. Dies kommt den Autorinnen zufolge in einer “silence on new media services“ (151) zum Ausdruck.

Ein weiterer Beitrag von Christian Edelvold Berg, Gregory Ferrell Lowe und Anker Brink Lund prüft die aktuelle Relevanz und Tragweite der Marktversagensthesen und nimmt damit ebenfalls Bezug auf die ökonomischen Begründungen des Neoliberalismus. Im Unterschied dazu analysiert Josef Trappel den gesellschaftlichen Beitrag des Public Service Broadcasting aus der Perspektive gesellschaftlicher Ziele wie Gleichheit, Freiheit, Solidarität, Rechenschaftslegung und zivilgesellschaftliche Beteiligung. Für die Gewährleistung der Geltung solcher Ziele im Medienbereich trägt aber das PSB nicht die alleinige Verantwortung, denn die privaten Medienfirmen leisten ebenfalls wichtige Beiträge dazu. Die normativen Rahmenbedingungen des PSB und deren Auswirkungen auf die Angebote untersucht auch der Beitrag von Minna Aslama Horowitz und Jessica Clark.

Der dritte Teil ‘Public Service Value in Practice’ nimmt die Perspektive des Managements zum Creating Public Value auf und liefert dazu einige Anwendungsbeispiele. Takanobu Tanaka und Toshiyuki Sato eröffnen mit einer japanischen, aber auch in anderen Regionen Südostasiens relevanten Perspektive. Creating Public Value beim japanischen Public Broadcasters NHK findet u. a. durch dessen Berichterstattung über Naturkatastrophen statt. Noch weit mehr als man dies in Europa kennt, ist in den stark von Naturkatastrophen geprägten Regionen Südostasiens die Berichterstattung darüber wichtig, um das Leben und den Besitz der Menschen durch rechtzeitige und hilfreiche Informationen zu schützen.

Im Vergleich dazu hat der Beitrag von Stoyan Radoslavov eine sehr europäische Perspektive. Der Beitrag verbindet das Public-Value-Konzept mit der Förderung von Medienkompetenz durch das PSB. Dazu vergleicht der Autor BBC, ZDF und RAI miteinander. Jonathon Hutchinson verdeutlicht das Creating Public Value durch den australischen Broadcaster ABC anhand dessen Programme für lokale Themen sowie Themen der ethnischen Minderheiten. Die Rolle des PSB beim Creating Public Value durch die dokumentarische Darstellung der kulturellen Vielfalt und der Immigration und Asylsuchenden greift Georgie McClean auf. Abschließend betont der Beitrag von Tim Raats, Karen Donders und Caroline Pauwels die Bedeutung von Allianzen und Partnerschaften mit einer Vielfalt gesellschaftlicher Institutionen wie Museen, Bildungseinrichtungen und Filmförderung, um das Creating Public Value durch das PSB zu gewährleisten. Die AutorInnen analysieren anhand mehrerer Fallbeispiele Mark Moores Konzeption der Co-Production, die ein Kernelement des Creating Public Value ist.

Wenn man einen Sammelband zu einem so facettenreichen Thema wie Public Service Media herausgibt, findet sich sicher der eine oder andere Aspekt, den der Leser vermisst. Die Publikation steht jedoch im Kontext einer Schriftenreihe, die fortgesetzt wird. Deshalb muss nicht jeder einzelne Band alle Aspekte und Perspektiven aufnehmen. Zwar kann sich der Rezensent eine Erweiterung und größere Vielfalt der Beiträge und Landeserfahrungen vorstellen. So sind zum Beispiel – auch im Kontext der anderen bisher veröffentlichten Bände – mehr Beiträge mit Perspektiven und Erfahrungen aus den südeuropäischen EU-Mitgliedstaaten und Frankreichs wünschenswert. In der Gesamtschau dokumentiert aber dieser sechste Band die kontinuierlichen Forschungsarbeiten und bereichert dadurch den Wissenschafts- und Praxistransfer zu dem gesellschaftlich relevanten Thema.

Der Sammelband ist sehr lesenswert für den Kreis von Rezipienten, der sich für die Zukunft des PSB und die Public-Value-Konzepte interessiert. Infolge der thematischen Unterschiedlichkeit der Einzelbeiträge wird kaum ein Leser alle Beiträge als gleich interessant ansehen. Deshalb ist empfehlenswert, dass sich der Leser zunächst an dem einführenden Beitrag von Fiona Martin und Gregory Ferrell Lowe orientiert, um dann gezielt die für ihn interessanten weiteren Artikel auszuwählen.

Links:

Über das BuchGregory Ferrell Lowe, Fiona Martin (Hrsg.): The Value of Public Service Media. RIPE@2013. Göteborg [Nordicom] 2014, 288 Seiten, 31,- Euro.Empfohlene ZitierweiseGregory Ferrell Lowe, Fiona Martin (Hrsg.): The Value of Public Service Media. von Gundlach, Hardy in rezensionen:kommunikation:medien, 26. Februar 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/17402
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