Annika Sehl: Partizipativer Journalismus in Tageszeitungen

Einzelrezension
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Rezensiert von Wiebke Möhring

Partizipativer Journalismus in TageszeitungenEinzelrezension
Aus Sicht der Kommunikationswissenschaft ist es sehr zu begrüßen, dass das Thema des Lokaljournalismus in jüngerer Zeit wieder etwas mehr Beachtung erlangt hat, insbesondere auch die Betrachtung nicht aus wirtschaftlicher Perspektive, sondern im Hinblick auf die publizistische Bedeutung (so z. B. Chmielewski 2011; Pöttker/Vehmeier 2013). Wissenschaftlich Interessierte wird es daher freuen, dass in dem vorliegenden Buch erneut ein publizistischer Blick eingenommen wird, diesmal geht es um die Frage der Vielfalt im Lokalen. Annika Sehl bearbeitet in ihrer Dissertation an der Universität Dortmund damit ein Themengebiet, welches einerseits ein in seinen Grundfragen schon lange diskutiertes ist, gleichzeitig aber auch wissenschaftlich bisher noch viele Fragen offen lässt. Das Buch möchte und kann diese Lücke in der Erforschung des Lokaljournalismus verringern.

Die vorliegende Studie legt ihren Fokus auf die Frage, wie Lokaljournalismus sein Publikum in redaktionelle Prozesse und Inhaltsproduktion mit einbindet und dadurch an (Meinungs-)Vielfalt gewinnen kann. Genauer gesagt untersucht Annika Sehl, inwieweit partizipative (im weitesten Sinne journalistische) Elemente die publizistische Vielfalt im Lokalen ergänzen können. Sie knüpft damit einmal an eine schon lange geführte Debatte an, nach welcher die Publikumseinbindung prinzipiell in der Lage sein kann, Mängeln des bestehenden redaktionellen Angebots entgegenzuwirken. Sie konzentriert sich auf die Frage der internen Vielfalt innerhalb eines lokalen Mediums, hier innerhalb lokaler Tageszeitungen, und auf Vielfalt aus der Angebotsperspektive. Zugleich greift sie den ebenfalls traditionsreichen Diskussionsstrang der Partizipation im Lokaljournalismus auf. Hier konzentriert sich das Buch auf die verschiedenen Aspekte der Leserbeiträge. Partizipative Elemente werden verstanden als unterschiedliche Formen der Leserbeteiligung unter einem Dach professioneller Medien (z. B. Fotos einsenden, online kommentieren, Beiträge einsenden, Leserbriefe schreiben).

Theoretisch baut Annika Sehl ihre Arbeit auf dem Forschungsstand zur publizistischen (lokalen) Vielfalt auf sowie auf Öffentlichkeitstheorien als Analyserahmen eben dieser. Diese Einführungen sind pragmatisch knapp gehalten, für zusätzliche Auseinandersetzungen werden jedoch ausreichend Hinweise gegeben. Etwas schade ist, dass Arbeiten aus der Zeit der deutschen Wiedervereinigung, wo ebenfalls Fragen der publizistischen Vielfalt bzw. des lokalen Angebots im Hinblick auf lokale Orientierung gestellt wurden, nicht eingebunden werden.

Ausgangs- und Bezugspunkt der Arbeit ist die Forschungsarbeit von Rager (1982). Sehr viel umfassender sind die Ausführungen zum Themengegenstand des partizipativen Journalismus, neben Begriffsbestimmungen finden sich hier auch Entwicklungen und theoretische Systematisierungen und eine Modellierung innerhalb der Theorie des diskursiven Journalismus nach Brosda. Dieser Überblick liest sich informativ und gibt, bei aller Flüchtigkeit und Dynamik der aktuellen Entwicklungen, einen fundierten Überblick über mögliche partizipative Elemente im (Lokal-)Journalismus.

Die empirische Umsetzung besteht aus insgesamt drei Teilstudien. Neben einer als Vorstudie konzipierten Chefredaktionsbefragung liegen die Ergebnisse einer quantitativen Inhaltsanalyse von drei Tageszeitungen vor sowie Leitfadengespräche mit den jeweiligen Chefredakteuren über die Ergebnisse der Angebotsstudie. In der empirischen Umsetzung konzentriert sich die Arbeit dann allein auf das gedruckte Produkt Tageszeitung, die jeweiligen Online-Auftritte oder andere Formen der Crossmedialität werden nur dann berücksichtigt, wenn die entsprechende Leserbeteiligung im gedruckten Blatt erscheint. Das ist eine fundamentale Einschränkung der Studie. Lokale interne Vielfalt wird damit allein aus der Sicht der Leser der gedruckten Ausgabe untersucht, andere Formen der Vielfaltserweiterung bleiben so unbeachtet.

Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass die Hinzunahme partizipativer Elemente das Spektrum der internen Meinungsvielfalt erweitert, das Spektrum an Fakten und Informationen hingegen weniger. Die Ergebnisse der drei untersuchten Tageszeitungen weisen darauf hin, dass das Verständnis von Dialog mit dem Publikum von Redaktion zu Redaktion unterschiedlich ausgelegt wird und entsprechend auch die Strategien der Leserbeteiligung unterschiedlich ausfallen. Deutlich wird aber auch, dass die Auswahl der partizipativen Elemente durch die Journalisten bzw. Redaktionen nach traditionellen Routinen und Konventionen erfolgt. Die Frage nach dem Einfluss des klassischen Gatekeepers hat sich, zumindest im Hinblick auf die gedruckte Tageszeitung, an dieser Stelle also nicht überholt, er schlägt im Gegenteil voll durch – ein Aspekt, der aber nicht explizit diskutiert wird. Damit kann auch diese Studie zeigen, dass Vielfalt in den Meinungen nach wie vor nicht allein durch die Berichterstattung und explizite Meinungsäußerung durch die Journalisten selbst erfolgt, sondern auch durch den Bezug auf die Meinungen anderer – diesmal durch Formen der Leserbeteiligung.

Literatur:

  • Chmielewski, D.: Lokale Leser. Lokale Nutzer. Informationsinteressen und Ortsbindung im Vergleich. Eine crossmediale Fallstudie. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2011.
  • Pöttker, H.; Vehmeier, A. (Hrsg.): Das verkannte Ressort. Probleme und Perspektiven des Lokaljournalismus. Wiesbaden [Springer VS] 2013.
  • Rager, G. (Hrsg.): Publizistische Vielfalt im Lokalen. Eine empirische Analyse. Tübingen [TVV Verlag] 1982.

Links:

Über das BuchAnnika Sehl: Partizipativer Journalismus in Tageszeitungen. Eine empirische Analyse zur publizistischen Vielfalt im Lokalen. Baden-Baden [Nomos] 2013, 370 Seiten, 59,- Euro.Empfohlene ZitierweiseAnnika Sehl: Partizipativer Journalismus in Tageszeitungen. von Möhring, Wiebke in rezensionen:kommunikation:medien, 11. Juli 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16684
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