Falk Neubert: Die informelle Öffentlichkeitsarbeit und ihre Bedeutung für die Nachrichtengenerierung

Einzelrezension
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Rezensiert von Sabine Kirchhoff

Die informelle Öffentlichkeitsarbeit und ihre Bedeutung für die NachrichtengenerierungEinzelrezension
Die informelle Öffentlichkeitsarbeit und ihre Bedeutung für die Nachrichtengenerierung ist der Titel einer Untersuchung aus dem Jahr 2008 von Falk Neubert, die allerdings erst 2014 im Tectum Verlag veröffentlicht wurde. In diesem 156 Seiten umfassenden Band beleuchtet der studierte Kommunikationswissenschaftler die bislang in der Forschung zum Verhältnis von PR und Journalismus eher vernachlässigte informelle Öffentlichkeitsarbeit. Dass er als Untersuchungsgegenstand “das Verhältnis zwischen politischer Öffentlichkeitsarbeit der Legislative, der Exekutive sowie der Landesparteien und dem Journalismus” (70) ausgewählt hat, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Neubert Abgeordneter des Sächsischen Landtags ist.

Theoretisch bezieht Neubert sich in seiner Untersuchung auf das bereits von Bentele et al. 1996 entwickelte Intereffikationsmodell, das – wie von den Urhebern gewünscht – seit seiner Veröffentlichung eine Vielzahl von Studien evoziert hat. Im Gegensatz zum Gros der Vorläufer-Studien gibt Neubert sich nicht damit zufrieden, eine Input-Output-Analyse von Pressemitteilungen und Zeitungsartikeln durchzuführen, weil die mit dieser Methode gewonnenen Ergebnisse häufig auf der unbewiesenen Prämisse beruhen, die Pressemitteilungen seien die den Artikeln zugrunde liegenden Quellen. Um dieses Manko zu vermeiden, kombiniert Neubert zwei Methoden miteinander: Zum einen führt er über einen Zeitraum von drei Wochen eine Inhaltsanalyse fünf sächsischer Zeitungen durch, die kontinuierlich über die Landespolitik berichten. Zum anderen verknüpft er die Inhaltsanalyse mit einer persönlichen bzw. standardisierten Befragung der Journalisten, welche die in die Inhaltsanalyse einbezogenen Artikel verfasst haben und zu jedem Artikel angeben mussten, welche Anregung den Ausschlag dafür gab, über einen politischen Akteur zu berichten. Letztlich unternimmt Neubert damit wie 1979 Baerns den Versuch, den Produktionsprozess der Nachrichten zu konstruieren.

Bei seiner Befragung erzielt Neubert Rücklaufquoten von bis zu 100 Prozent (!): So haben sowohl die Landesjournalisten als auch die Journalisten der Nachrichtenagenturen zu 100 Prozent die Fragebogen ausgefüllt. Dass der Rücklauf so unglaublich hoch ausgefallen ist, erklärt der Autor u. a. mit seiner Funktion als Abgeordneter (vgl. 78). Von Vorteil für den Rücklauf war in diesem Zusammenhang sicherlich, dass 60 Prozent der analysierten Artikel von nur sieben Journalisten verfasst wurden, wohingegen die restlichen 40 Prozent der Beiträge “von 51 weiteren Redakteuren geschrieben wurden” (105).

Im Ergebnis zeichnet Neubert nach, dass der informellen Kommunikation in seiner Stichprobe eine nicht zu unterschätzende Bedeutung beizumessen ist. So konstatiert er: “Bei der Entstehung von Zeitungsartikeln ist die informelle Kommunikation sogar fast doppelt so relevant wie die institutionalisierten Formen der Öffentlichkeitsarbeit” (110). Daraus zieht er den Schluss, dass “Öffentlichkeitsarbeit auf einer Vielzahl von Instrumenten basiert” (108) und dass man auf der Basis der Analyse eines Instrumentes der Öffentlichkeitsarbeit lediglich Aussagen über das Verhältnis dieses einen Instrumentes machen kann (ebd.).

Ein Verdienst dieser Arbeit ist es sicherlich, ein neues Forschungsdesign angewendet zu haben, um den Wert informeller Öffentlichkeitsarbeit fokussieren zu können. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass Ruß-Mohls Kritik am Intereffikationsmodell nicht von der Hand zu weisen ist, wonach “sich wechselseitig ermöglichen […] eben nur die halbe Wahrheit” sei (1999: 163). So ging Ruß-Mohl bereits 1999 davon aus, dass das Intereffikationsmodell dazu führen könne, wichtige Fragen wie beispielsweise die “der Machtverteilung und -verschiebung zwischen Journalismus und PR” auszublenden (1999: 170).

Und tatsächlich: Die Fixierung auf das Intereffikationsmodell und nicht zuletzt auf die Bedeutung der informellen Kommunikation bringt Neubert dazu, einen für die Interpretation der Ergebnisse wichtigen Aspekt zu vernachlässigen. Ein Aspekt, der für eine “problemgerechte Interpretation” aber zwingend an exponierter Stelle hätte thematisiert werden müssen (Bentele, Nothhaft 2004: 71): So umfasst Neuberts Analyse einen Zeitraum (31. März bis 19. April 2008), in dem eine Regierungskrise eskalierte und ein Ministerpräsident zum Rücktritt gezwungen wurde. Vor diesem Hintergrund ist es nur naheliegend, dass vor allem die Landesjournalisten vermehrt auf informelle Öffentlichkeitsarbeit zurückgegriffen haben und nicht auf institutionalisierte Formen der Öffentlichkeitsarbeit, womit Neuberts Ergebnis aber alles andere als eine überraschende oder gar neue Erkenntnis ist.

Ihrer immensen Bedeutung zum Trotz wird die Krise in Neuberts Arbeit aber nicht in angemessener Weise berücksichtigt. Zwar weist der Autor darauf hin, dass die Krisensituation die Verallgemeinerbarkeit seiner Ergebnisse einschränke (vgl. 72), behandelt das Thema allerdings insgesamt gesehen in seiner Studie eher wie eine Nebensache. So wird die Krise nur auf einigen wenigen Seiten angeschnitten (vgl. 85, 93, 101). Anders als zu erwarten gewesen wäre, geht Neubert weder in seiner Einleitung, noch in der Einführung zur politischen Kommunikation in Kapitel 2, noch im Schluss explizit auf die Krisensituation ein. Stattdessen zieht er es vor, Quellen zu zählen oder, in seinen Worten, “die Anregungen für Artikel in der Summe” zu erfassen (68), um auf dieser schmalen Basis dann relativ weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen (vgl. 110ff.)

Innovativer Methodenmix hin, innovativer Methodenmix her: Wer es versäumt, an exponierten Stellen einer kommunikationswissenschaftlichen Publikation auf die Bedeutung von Inhalten mit extrem hohem Nachrichtenwert bei journalistischen Auswahlprozessen hinzuweisen, schmälert die Erklärungskraft seiner Ergebnisse erheblich. Letztlich illustriert Neuberts Studie nur, wie das Intereffikationsmodell genutzt werden kann, um einen winzig kleinen Ausschnitt der komplexen Interaktion zwischen Journalismus und funktionalen PR-Kommunikatoren zu beschreiben.

 

Literatur:

  • Bentele, Günter; Nothhaft, Howard: Das Intereffikationsmodell. Theoretische Weiterentwicklung, empirische Konkretisierung und Desiderate, in: Altmeppen, Klaus-Dieter, Röttger, Ulrike; Bentele, Günter (Hrsg.): Schwierige Verhältnisse. Interdependenzen zwischen Journalismus und PR. Wiesbaden [VS Verlag] 2004, S. 67-104.
  • Ruß-Mohl, Stephan: Spoon feeding, Spinning, Whistleblowing. Beispiel USA: Wie sich die Machtbalance zwischen PR und Journalismus verschiebt, in: Rolke, Lothar; Wolf, Volker (Hrsg.): Wie die Medien die Wirklichkeit steuern. Wiesbaden [Westdeutscher Verlag] 1999, S. 163-76.

Links:

Über das BuchFalk Neubert: Die informelle Öffentlichkeitsarbeit und ihre Bedeutung für die Nachrichtengenerierung. Reihe: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Medienwissenschaften, Band 28. Marburg [Tectum] 2014, 142 Seiten, 24,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseFalk Neubert: Die informelle Öffentlichkeitsarbeit und ihre Bedeutung für die Nachrichtengenerierung. von Kirchhoff, Sabine in rezensionen:kommunikation:medien, 1. Juli 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16620
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