Barbara Pfetsch, Janine Greyer, Joachim Trebbe (Hrsg.): MediaPolis – Kommunikation zwischen Boulevard und Parlament

Einzelrezension
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Rezensiert von Christian Schicha

MediaPolis_onlineEinzelrezension
Der Sammelband dokumentiert die Ergebnisse der 57. Jahrestagung der DGPuK in Berlin. Nachdem ich die Tagung besucht habe, hat sich bei mir wie auch bei anderen Kolleginnen und Kollegen der Eindruck gefestigt, dass es eine Reihe von spannenden und informativen Vorträgen gegeben hat, die z.T. mit dem eigentlichen Veranstaltungsthema recht wenig zu tun hatten. Nach der Lektüre des Tagungsbandes ist dieser Eindruck jedoch zu revidieren.

In ihrer Einführung widmen sich die Herausgeber der notwendigen Begriffsklärungen, um den Zusammenhang zwischen der medialen und medialisierten Öffentlichkeit zwischen Politik und Unterhaltung aufzuzeigen. Dabei werden Formen der traditionellen Massenkommunikation ebenso berücksichtigt wie neuere Entwicklungen der digitalen Netzwerkkommunikation. Boulevard steht sowohl als Chiffre für eine große Stadt wie auch für die Unterhaltungsindustrie. Das Thema “MediaPolis” richtet sich dabei aus einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive auf die politischen, sozialen und kulturellen Zusammenhänge in urbanen Räumen.

Im ersten Teil des Bandes geht es um die Konstitution von Öffentlichkeit in der MediaPolis.

von Saldern beschäftigt sich aus einer historischen Perspektive mit den Wandlungsprozessen der Kommunikation in den Großstädten im 20. Jahrhundert. Dabei richtet sie den Fokus sowohl auf die baulichen Entwicklungsprozesse als auch auf die Medialisierung der Großstadtkommunikation durch die Massenmedien. Ein wesentlicher Aspekt ihrer Ausführungen richtet sich auf gesellschaftliche Ungleichheiten in Bezug auf frauenspezifische Genderfragen, Klassen und Schichten sowie ethnisch-kulturelle Gruppen. Daran anknüpfend richtet sich der Blick auf die Vermarktung von Städten für Touristen und Investoren, der unter dem Begriff “Gentrification” (39) diskutiert  wird.

Jarren erörtert in seinem Beitrag den Umbruch der Mediengesellschaft durch den Einsatz von kommerziellen Social-Media-Anbietern wie Facebook, Twitter und Websites. Der Kunstbegriff “MediaPolis” umfasst für ihn gesellschaftliche und ordnungsspezifische Veränderungsprozesse. Er dient auch als Leitbild, in dem Partizipationsprozesse mit dem Instrument von Medien einbezogen werden können. Mit Blick auf die Berichterstattung weist der Autor darauf hin, dass “Medien als öffentliche Sache” (58) eine öffentliche Kontroll- und Kritikfunktion gegenüber der Politik und den Wirtschaftsunternehmen besitzen sollten. Medien und Städte sollten im Sinne des öffentlichen Gemeinwohls der Teilhabe und Teilnahme von Bürgern dienen. Marketing und Social-Media-Aktivitäten sind jedoch nicht in der Lage, dieses Ziel zu erreichen.

Metag und Donk nehmen Bezug auf Fragmentierungsprozesse städtischer Öffentlichkeit. In ihrem Beitrag integrieren sie soziogeografische und kommunikationswissenschaftliche Ansätze. Sie vertreten die These, dass trotz der zunehmenden Entgrenzung durch Massenmedien eine Form von “Grenzziehungen und Abkapselungen” (63) erfolgt. Medien sind heute aufgrund der Vielzahl und Unübersichtlichkeit der Angebote nicht mehr in der Lage, ihrer Integrationsfunktion gerecht zu werden. In Bezug auf die “Fragmentierung der Stadt als soziogeografisches Konzept” (70) verweisen die Autoren auf den Trend zur ethnischen Viertelbildung durch Zuwanderer mit Migrationshintergrund, den Prozess der Gentrification bis hin zu ‘Gated Communities’, in denen die wohlhabenden Bewohner als extremste Ausprägung der städtischen Segregation ihre Wohnviertel aus Angst vor Einbrüchen durch Zäune und Mauern sichern. Aufgrund dieser städtischen Fragmentierungstendenzen ergeben sich eine Reihe von Forschungsfragen aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive zur Medienproduktion und Mediennutzung, zur Konstitution von lokalen Öffentlichkeiten und zur Berichterstattung über die skizzierten Viertel.

Teil zwei beschäftigt sich mit Informationsangeboten und dem Mediengebrauch in öffentlichen Räumen.

Höflich beobachtet in diesem Kontext den Gebrauch des Mobiltelefons in der Stadt. Es wird deutlich, dass die Nutzung von Handys in öffentlichen Räumen inzwischen eine immense Dimension eingenommen hat, die aufgrund der daraus resultierenden Ablenkung nicht nur die Unfallgefahr erhöht, sondern auch zwischenmenschliche Kommunikationsprozesse drastisch limitiert.

Daran anknüpfend hat Wagenseil die telekommunikativen Praktiken von jungen Erwachsenen im urbanen Raum anhand von Interviews und Beobachtungsstudien untersucht. Sie hat spezifische Charakteristika des mobilen Telefonierens herausgearbeitet und dabei u.a. den körperbezogenen und räumlichen Kontext sowie Verstehensprozesse, Praktiken und Strukturen mit in die Analyse einbezogen.

Nitsch und Wünsch analysieren in ihrem Beitrag formal-gestalterische und inhaltliche Merkmale der politischen Information im öffentlichen Raum. Dabei richtet sich der Fokus u.a. auf Plakate, Aufkleber und Aushänge politischer Akteure in vier deutschen Großstädten. Es wird skizziert, dass die politische Information im Raum über eine sehr hohe Reichweite verfügt.

Dogruel, Greyer und Berghofer beschäftigen sich in ihrem Text mit Qualitätsmerkmalen und Boulevardisierungsstrategien am Beispiel der Wirtschaftsberichterstattung. Es werden die Elemente “Personalisierung, Skandalisierung, Emotionalisierung sowie ein lockerer Sprachstil und die Betonung optischer Elemente” (144) als Boulevardmerkmale definiert. Der Fokus der Untersuchung richtet sich u.a. auf die Bild-Zeitung. Dabei wird der Vorwurf des Qualitätsverlustes hinsichtlich der Boulevardberichterstattung ebenso thematisiert, wie allgemeine Qualitätskriterien. Als Ergebnis der Untersuchung kann festgehalten werden, dass Boulevardzeitungen insgesamt über eine stark ausgeprägte Serviceorientierung im Rahmen der Wirtschaftsberichterstattung verfügen.

Hasebrink und Schmidt legen den Akzent auf die Nutzerperspektive. Sie haben hierfür “Informationsrepertoires und Medienvielfalt in der Großstadtöffentlichkeit” (161) am Beispiel der Berliner Bevölkerung analysiert. Die Befragung kam zu dem Ergebnis, dass das rbb-Fernsehen die häufigste Quelle der Mediennutzung ist, gefolgt von der Berliner Morgenpost und dem RTL-Radio. Tageszeitungen werden hingegen weniger genutzt.

Im dritten Teil des Tagungsbandes wird die Partizipation und Meinungsbildung durch neue und ‘alte’ Medien erörtert.

Magin, Geiß und Stark widmen sich im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse der Interpretation von Prozessen in sozialen Netzwerken, die von den Nachrichtenmagazinen Spiegel, Focus und Stern dargestellt und interpretiert werden. Sie nehmen eine Framing-Analyse über mediale Deutungsmuster für soziale Netzwerke mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse am Beispiel von Nachrichten via Facebook, Twitter und Google+ über einen Zeitraum von fünf Tagen vor. Es stellt sich heraus, dass sich die Berichterstattung fast vollständig auf Facebook und Twitter konzentriert. Hierbei werden u.a. die Themenfelder Wirtschaftsunternehmen und Datenschutz aufgegriffen.

Keyling, Karnowski und Leiner beschäftigen sich ebenfalls mit den neuen Medien. Sie eruieren den Verbreitungsgrad von Nachrichtenartikeln über Facebook, Twitter und Google+. Die meisten Empfehlungen im Untersuchungszeitraum erreichte ein Artikel der New York Times über die zweisprachige Erziehung, gefolgt von einer Vorankündigung des Films Hangover III. Die Diffusionsgeschwindigkeit ist bei Twitter insgesamt höher als auf Facebook. Google+ “konnte sich im Untersuchungszeitraum nicht als relevante Plattform für Nachrichten profilieren” (223).

Weber hat sich mit den Leserkommentaren in Online-Nachrichtenmedien mit dem Fokus auf “Nachrichtenfaktoren als kollektive Relevanzindikatoren” (232) und die Kommentierungsintensität von Online-Nachrichten auseinandergesetzt. Hierbei wurden die Einflüsse von journalistischen Inhalten auf Leserkommentare eruiert. Die drei reichweitenstärksten Online-Zeitungen Welt.de, Focus online und sueddeutsche.de aus dem Jahr 2008 bildeten hierfür das Mediensample. Bei den Nachrichtenfaktoren “deutsche Beteiligung, Kontroverse und Faktizität” (241) gab es keine Variation zwischen den untersuchten Websites, während “Einfluss und Prominenz offensichtlich websitespezifische Effekte entfalten” (242).

Sehl widmet sich den Beteiligungsmöglichkeiten des Medienpublikums und fordert eine stärkere Einbindung des Publikums in den Journalismus. Sie sieht im Internet ein “Mitmachmedium” (247). Nicht nur Journalisten, sondern auch das Publikum beteiligt sich durch Artikel, Kommentare, Blogs usw. an öffentlichen Debatten. Durch diese Entwicklung wird die publizistische Vielfalt erhöht, wobei sich die Frage nach der Qualität der Beiträge anschließt. Eine Option des partizipativen Journalismus zur Qualitätssicherung liegt darin, das Publikum in redaktionelle Prozesse unterstützend mit einzubinden und es an der Produktion von Inhalten zu beteiligen.

Teil vier des Sammelbandes thematisiert die Empörungsdynamiken im Kontext der Politischen Kommunikation.

Hier widmet sich Detel zunächst der “Anatomie des Skandals im digitalen Zeitalter” (275). Sie weist darauf hin, dass Skandale, die die Grenzüberschreitungen und Missstände von gesellschaftlichen Normen und Werten einer Gesellschaft aufzeigen, Sanktionsforderungen nach sich ziehen können. Das digitale Zeitalter hat dazu geführt, dass die Verbreitung digitaler Daten kaum kontrolliert werden kann. So kann ein “Kontextkollaps” (278) entstehen, wenn einstmals geschützte Informationsräume der Netzöffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Anhand von ausgewählten Einzelfällen wird deutlich, dass Menschen und Institutionen an den virtuellen Pranger gestellt werden und die daraus resultierenden negativen Konsequenzen zu tragen haben.

Kamps, Horn und Wicke analysieren in ihrem Text die Kommunikationsabläufe “im Verhandlungssystem der Gesundheitspolitik” (293). Sie liefern eine theoretische Basis für die Kommunikation in spezifischen Politikfeldern im Rahmen der Mediatisierung, skizzieren die Eigenlogiken von Politik und Medien und beschäftigen sich schließlich inhaltlich mit dem GKV-Finanzierungsgesetz, das 2010 ein Teilbereich der Gesundheitsreform war. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die informelle Kommunikation zum entscheidungsrelevanten Informationsaustausch beim Themenfeld Gesundheitspolitik einen höheren Stellenwert einnimmt als die formelle politische Kommunikation. Als entscheidende Dimension wird jedoch die Kategorie Vertrauen definiert. In Bezug auf den Journalismus geht es hierbei u.a. um einen verlässlichen und fairen Umgang bei Interviews, der “Einhaltung von Sperrfristen und Sprachregelungen” (308) sowie um den Schutz der Quellen.

Insgesamt ist es den Herausgebern trotz der Verwendung der heterogenen Themenfelder gelungen, einen in sich geschlossenen und überaus lesenswerten Sammelband zu erstellen, der interessante Erkenntnisse und Methoden für die Analyse von Medienphänomenen im urbanen Raum bereit stellt.

Links:

Über das BuchBarbara Pfetsch, Janine Greyer, Joachim Trebbe (Hrsg.): MediaPolis – Kommunikation zwischen Boulevard und Parlament. Strukturen, Entwicklungen und Probleme von politischer und zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit. Konstanz und München [UVK] 2013, 318 Seiten, 29,- Euro.Empfohlene ZitierweiseBarbara Pfetsch, Janine Greyer, Joachim Trebbe (Hrsg.): MediaPolis – Kommunikation zwischen Boulevard und Parlament. von Schicha, Christian in rezensionen:kommunikation:medien, 2. Februar 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/15468
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