Birgit Stark, Melanie Magin, Olaf Jandura, Marcus Maurer (Hrsg.): Methodische Herausforderungen komparativer Forschungsansätze

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Rezensiert von Ingrid A. Uhlemann

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Das vorliegende Buch widmet sich den methodischen Herausforderungen komparativer Forschungsansätze und vereint neben dem einleitenden Text der Herausgeber zum Aufbau des Sammelbands insgesamt 13 Aufsätze, die sich dem Thema auf verschiedene Weise nähern: Einen Überblick über das Thema geben der Beitrag von Frank Esser und die Inhaltsanalyse von Fachliteratur von Birgit Stark & Melanie Magin. Drei Aufsätze beleuchten die Forschung anhand von Praxisbeispielen, die restlichen Autorinnen und Autoren widmen sich gezielt verschiedenen methodischen Ansätzen.

Frank Esser subsummiert in seinem lesenswerten, als Einführung in das Thema konzipierten Beitrag unter anderem verschiedene Definitionen und formuliert als Konsens, “dass komparative Kommunikationsforschung immer dann vorliegt, wenn zwischen mindestens zwei Systemen oder Kulturen […] Vergleiche auf mindestens einen kommunikationswissenschaftlich relevanten Untersuchungsgegenstand gezogen werden” (19).

Die Überblicksaufsätze, vor allem der Aufsatz von Esser, sind auch den Lesern zu empfehlen, die sich bislang mit komparativer Forschung noch nicht dezidiert befasst haben und auch für Studienanfänger geeignet: Neben einer Begriffsklärung finden sich auch unter anderem Bereiche zur Forschungslogik und Hinweise auf theoretische und methodische Grundlagen. Man merkt dem Aufsatz von Esser an, dass er die überarbeitete Fassung eines in einem Einführungsband erschienen Texts ist (vgl. Esser 2010).

Auch die von Jürgen Wilke & Christine Heimprecht am Beispiel eines international angelegten Forschungsprojekts geschilderte Spannung zwischen methodischen Idealvorstellungen und praktischen Hindernissen zeigt auf anschauliche Weise die verschiedenen Entscheidungen, die bei der Entwicklung einer Studie über Ländergrenzen hinweg notwendig sind. Der Text ist Studierenden ebenso zu empfehlen wie der Aufsatz von Ingrid Paus-Hasebrink & Uwe Hasebrink, welche das Projekt EU Kids Online näher vorstellen.

Sowohl beim Lesen der Überblicksaufsätze als auch bei den Praxisbeispielen wird deutlich, dass ein wichtiges Anliegen der komparativen Forschung die Herstellung bzw. Überprüfung von Äquivalenz ist: Damit man beim Vergleichen nicht die sprichwörtlichen Äpfel mit Birnen vergleicht, sind theoretische Überlegungen zur Äquivalenz unumgänglich und es stellt sich die Frage: Werden in den zu vergleichenden Systemen vergleichbare Objekte ausgewählt und auf vergleichbare Weise erfasst?

Um die Auswahl vergleichbarer Objekte geht es in dem Beitrag von Armin Scholl. Er widmet sich dem Problem, dass sich bei Vergleichen über die Zeit unter Umständen notwendigerweise die Grundgesamtheit einer Studie ändern muss, um die Äquivalenz über die Zeit sicherzustellen. Er schlägt das einfache und sinnvolle Vorgehen vor, sowohl die Messung der ursprünglichen Definition der Grundgesamtheit als auch die aktualisierte Fassung parallel zu erheben, um auf diese Weise das Ausmaß der Veränderung durch die Veränderung abschätzen zu können – also eine “kontrollierte methodische Anpassung” (208) vorzunehmen.

Der Aufsatz von Rinaldo Kühne, Christian Schemer & Jörg Matthes, welcher sich mit der Messinvarianz latenter Variablen befasst, ist auch der Äquivalenzthematik zuzuordnen, es geht um die Messäquivalenz. Die Logik der Prüfung der Invarianz wird gut nachvollziehbar dargelegt. Der Leser, der vor einem ähnlichen Problem steht, sollte deshalb motiviert genug sein, sich das praktische Vorgehen anhand der im Literaturverzeichnis genannten Lektüre selbstständig zu erarbeiten.

Ebenfalls dem Thema Messäquivalenz gewidmet ist der Aufsatz von Sven Jöckel, Leyla Dogruel & Nicholas D. Bowman. Er beschreibt die Übertragung einer amerikanischen Moralitätsskala ins Deutsche und die Analyse der dabei aufgetretenen Schwierigkeiten. Dieser Text macht Lust auf mehr, insbesondere fehlt sowohl eine Liste der englischsprachigen Items als auch deren deutschsprachige Übertragung. Ohne ihre Offenlegung können die Daten und Überlegungen zur gelungenen bzw. nicht gelungenen Übertragung nur bedingt beurteilt werden.

Bei der Messung von Ähnlichkeit treten häufig Probleme auf, da im Allgemeinen die vorhandenen Statistikkenntnisse vor allem auf das Testen von Unterschiedshypothesen zugeschnitten sind. Die Möglichkeiten, die von Katharina Kleinen-von Königslöw thematisiert werden, sind anwendbar und praktikabel. So plädiert sie für den einfachen, aber wenig verwendeten Variationskoeffizienten und zeigt, wie eine Korrespondenzanalyse hilfreich sein kann, um die Ähnlichkeit von Untersuchungsobjekten in der Kombination mehrere Variablen zu visualisieren und zu interpretieren.

Einige Aufsätze im Band widmen sich einem anderen Problem, das auch bei komparativen Studien auftreten kann, nämlich der Mehrebenenproblematik. Sehr oft liegen erfasste Einheiten, Analyseeinheiten und Kontextmerkmale auf verschiedenen Ebenen (z. B. wenn einzelne Artikel verschiedener Zeitungen verschiedener Länder nach bestimmten Frames erfasst werden). Dies muss spätestens bei der Auswertung berücksichtigt werden, denn wenn Kontext- und Einzelvariablen auf gleicher Ebene in ein Analysemodell (z.B. Regression) aufgenommen werden, ergeben sich Probleme mit den üblichen Signifikanztests. Die Texte von Josef Seethaler & Gabriele Melischek und von Dominik Becker & Jörg Hagenah widmen sich direkt oder indirekt diesem Problem. Für die Lektüre dieser Texte sind solide Kenntnisse multivariater Statistik notwendig. Die Thematik dieser Aufsätze ist von hoher Relevanz, betrifft sie doch das Problem einer sachgerechten Auswertung. Aufgrund komplexer Formulierungen und fehlender Erläuterungen bleibt aber zu befürchten, dass sich die in den Texten empfohlenen Auswer­tungs­fortschritte nur Eingeweihten erschließen.

Als besonders anregend ist meines Erachtens der Aufsatz von Martin Wettstein einzustufen. Er stellt einen interessanten Ansatz, das sogenannte ‘Term-Mapping’ in Verbindung mit einer ‘Smallest Space Analysis’ vor. Das induktive Vorgehen ist dazu geeignet, eine Kommunikationsdebatte in groben Zügen aufzuzeigen. Dazu werden Schlüsselbegriffe eines Diskurses identifiziert und deren gemeinsames Auftreten ermittelt. Das Ganze erfolgt computergestützt und erfordert, das ist das reizvolle, zunächst kaum Vorwissen über die jeweilige Debatte. Erkenntnisse über die Struktur eines Themas sind nicht nur in der komparativen Forschung wichtig, sondern können auch für andere Inhaltsanalysen relevant sein, z.B. in den Bereichen Agenda Setting, Agenda-Building, Themenresonanzanalysen etc..

Insgesamt ergibt sich damit eine für Tagungsbände typische heterogene Mischung von Texten mit unterschiedlichem Allgemeinheitsgrad und unterschiedlichen Voraussetzungen, die die Leser zum Verständnis mitbringen müssen. Vor allem für an komparativer Forschung interessierte Leser finden sich im Sammelband sicherlich lesenswerte Aufsätze.

Literatur:

  • Esser, F.: Komparative Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. In: Bonfadelli, H.; O. Jarren; G. Siegert (Hrsg.): Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern u.a. [Haupt Verlag] 2010, S. 19-56.

Links:

Über das BuchBirgit Stark, Melanie Magin, Olaf Jandura, Marcus Maurer (Hrsg.): Methodische Herausforderungen komparativer Forschungsansätze. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2012, 352 Seiten, 30,- Euro.Empfohlene ZitierweiseBirgit Stark, Melanie Magin, Olaf Jandura, Marcus Maurer (Hrsg.): Methodische Herausforderungen komparativer Forschungsansätze. von Uhlemann, Ingrid A. in rezensionen:kommunikation:medien, 9. Januar 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/15375
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