Zur Geschichte des Hörfunks in der DDR

Sammelrezension
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Rezensiert von Andy Räder

HörfunkDDR_onlineSammelrezension
Als der Hörfunk, der in den 1930er Jahren die “Schwelle zum Massenmedium” (Schildt 2001: 198) überschritt, ohne tief greifende Zäsur in den 1960er Jahren durch den Siegeszug des Fernsehens als prägendes Massenmedium abgelöst wurde, war der Radiohimmel über Deutschland längst geteilt. In der Bundesrepublik konnten sich die einzelnen Landesanstalten vergleichsweise eigenständig entwickeln. Dagegen war der Hörfunk in der DDR zentralisiert und maßgeblich parteipolitisch geprägt.

Will man sich also, wie es Christian Könne in seiner 2010 veröffentlichten Dissertation Der Hörfunk der DDR in den 1960er Jahren. Pläne, Innovationen, Wirklichkeiten macht, mit der Entwicklung und dem Wandel des DDR-Hörfunks aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive beschäftigen, ist es notwendig zu fragen, wie sich die in der “westdeutsche[n] Gesellschaft vorliegenden Konzepte über den Hörfunk […] auch auf den Hörfunk und die Gesellschaft der DDR anwenden lassen” (16). Diese Überlegungen über wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Gesellschaft und Medium bilden die Grundlage für Könnes Untersuchung zur DDR-Hörfunkgeschichte der 1960er Jahre.

Im Vorwort des Buches legt der Gutachter der Dissertation, Konrad Dussel, den größeren Forschungskontext der Arbeit dar. Im Jahre 2002 erschien Dussels vergleichende Studie über “Radio-Programme in vier deutschen politischen Systemen […]: der Weimarer Republik, des NS-Staats, der DDR und der Bundesrepublik” (11). Der Untersuchungszeitraum  dieser Arbeit  wurde von 1923 bis zum Ende des ‘Hörfunkzeitalters’ 1960 datiert (2002). So lag es nahe, die Programmentwicklung des Hörfunks nach 1960, also vor dem Hintergrund der Fernsehkonkurrenz auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, in weiteren Forschungsprojekten zu untersuchen. Zunächst widmete sich Stefan Kursawe den Programmentwicklungen im Hörfunk der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre (2004). Mit Christian Könnes 2006 an der Universität Mannheim eingereichten Dissertation zum Hörfunk der DDR in den 1960er Jahren liegt nun die äquivalente Studie vor.

Wenn Könne vom Hörfunk in der DDR spricht, meint er die Programme Radio DDR I, Radio DDR II, Berliner Rundfunk, Berliner Welle und den Deutschlandsender. “Da die Bedeutung der Regionalsender […]” (24) sich erst im Laufe der Arbeit zeigte, klammert er diese aus. Auch die Geheimsender der DDR, der Deutsche Soldatensender 935, der Deutsche Freiheitssender 904 sowie Radio Moldau werden nicht in die Untersuchung einbezogen, weil sie dem Autor nach “nicht für die Bevölkerung in der DDR gedacht waren” (27). Dazu wertet er die Berliner Welle, die sich an West-Berliner Hörer wandte und den für eine westdeutsche Hörerschaft konzipierten Deutschlandsender als ‘Inlandssender’. Denn ihr Programm stellt “zusammen mit dem der Inlandsender das ‘Gesamtprogramm’ des Deutschen Demokratischen Rundfunks, wie sich der Hörfunk der DDR in seiner Gesamtheit nannte, dar – auch für die Hörer in der DDR. Sie waren der funkische Teil des gesamtstaatlichen Anspruchs, den auch die DDR bis zum Ende der 1960er Jahre vertrat und aus diesem Verständnis heraus waren diese Sender Inlandssender” (ebd.), so Könne.

Der Autor teilt seine Analyse in drei Bereiche. Ihm sind dabei vor allem die “technischen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen” (29) des DDR-Hörfunks wichtig. Im ersten Kapitel werden die technische Ausstattung und die Versorgung der Hörer mit Radiogeräten untersucht. Dabei stellt Könne fest, dass der DDR-Hörfunk erst in den 1960er Jahren aufgrund der technischen Defizite auf dem Weg zu einem Programmprofil war, auch wenn offiziell bereits in den 1950er Jahren davon gesprochen wurde. Die Entwicklung der Programmstrukturen im DDR-Hörfunk und deren Wandel stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Der Autor fragt dabei nach Motiven für Veränderungen und ob die sich entwickelnden Programmstrukturen in Ost und West vergleichbar waren. Im letzten Kapitel beschäftigt sich Könne mit den Programminhalten in den Kategorien Nachrichten/Information, Bildung und Unterhaltung. Parallel zu den strukturellen sucht er hier insbesondere nach inhaltlichen Veränderungen.

Überzeugend zeigt Könne, wie wichtig die technische Ausstattung des DDR-Hörfunks für die Programmentwicklung war – sowohl beim Sender als auch beim Empfänger. Häufig verhinderte eine schlechte technische Ausrüstung und Versorgung die Verbesserung des Programmangebotes. Die Arbeit zeigt, dass die strukturelle Trennung von Hörfunk-Technik (Ministerium für Post und Fernmeldewesen) und Programminhalten (Staatliches Komitee für Rundfunk) die Weiterentwicklung des DDR-Hörfunks stets behinderte. Hier hätte der Autor jedoch dem Aktenmaterial des Ministeriums für Post und Fernmeldewesen, z.B. über die direkten Auseinandersetzungen mit dem Staatlichen Komitee für Rundfunk, mehr Beachtung schenken müssen. Trotz ungenügender Ausstattung mit finanziellen, personellen und technischen Mitteln hatte sich der DDR-Hörfunk “im Verlaufe der 1960er Jahre kontinuierlich gesteigert und seine Programme zunehmend ausdifferenziert” (34), wie Könne fundiert beweisen kann.

In Bezug auf den Wandel der Programmstrukturen des DDR-Hörfunks glaubt der Autor, “eine zeitlich verzögerte, aber durchaus parallele Entwicklung beider deutscher Staaten festzustellen” (77), denn beide Seiten mussten sich zunehmend an den Interessen der Hörer orientieren. So führt er die Ausdifferenzierung und Erweiterung des DDR-Hörfunkprogramms vom ‘Kästchenprogramm’ zum ‘fließenden Programmschema’ auf die veränderten Wünsche der Hörerschaft zurück, die wiederum von den Programmen in der Bundesrepublik beeinflusst waren. Laut Könne ging das Staatliche Komitee für Rundfunk nun “in der formalen Gestaltung der Hörfunkprogramme gezielt und deutlich auf die Wünsche der Hörer” (176) ein. Hier wäre es wünschenswert gewesen, diese formalen Annäherungen durch vergleichende Beispielanalysen weiter zu beleuchten. So bleibt die Beantwortung der eingangs formulierten Frage, “inwieweit sich [die] für die westdeutsche Gesellschaft vorliegenden Konzepte über den Hörfunk und den gesellschaftlichen Wandel […] auch auf den Hörfunk und die Gesellschaft der DDR anwenden lassen“ (16), recht vage.

Dennoch ist es Christian Könne gelungen, ein umfassendes und kenntnisreiches Bild der DDR-Hörfunklandschaft in den 1960er Jahren zu zeichnen. Er schließt mit seiner Arbeit eine weitere Lücke in der DDR-Medienforschung. Hervorzuheben ist die Fülle des Quellenmaterials, das der Autor kenntnisreich zur Beweisführung seiner Thesen heranzieht. Man kann nur hoffen, dass es, angeregt durch Könnes gewonnene Erkenntnisse, zu weiterführenden Untersuchungen zum DDR-Hörfunk in den 1970er und 1980er Jahren sowie zu einer Analyse der Programmgestaltung der Regional- und Geheimsender der DDR in naher Zukunft kommen wird.

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Während sich Christian Könne in seiner Arbeit vor allem auf die strukturellen Rahmenbedingungen des DDR-Hörfunks konzentriert, geht Patrick Conley in seiner Dissertationsschrift Der parteiliche Journalist. Die Geschichte des Radio-Features in der DDR einen anderen Weg. Aus der Produzentenperspektive, “von jemandem, der nach dem Fall der Mauer selbst in den Tonstudios der Nalepastraße, dem Sitz des DDR-Rundfunks in Ost-Berlin gearbeitet hat” (10), untersucht er die kulturpolitischen Parameter im DDR-Journalismus.

“Die Geschichte des DDR-Journalismus ist eine Geschichte der Parteinahme”, beginnt Conley seine Arbeit zunächst recht provokant, um dann abmildernd das Bild vom “parteilichen Berichterstatter” (9) als offizielles Berufsethos des DDR-Journalismus ins Feld zu führen. Sein Ziel ist eine “historisch-kritische Bestandsaufnahme” (19) der Radio-Features in der DDR, um grundsätzliche Erkenntnisse über die Wechselbeziehungen zwischen Partei und Journalisten zu gewinnen. Dabei profitiert die Arbeit von dem abgeschlossen Untersuchungszeitraum 1964 bis 1989 und den Primärquellen, den vollständig erhaltenen Tonträgern der Featureabteilung im Deutschen Rundfunkarchiv mit rund 740 Features und 114 halbstündigen Dokumentationen (56). Ferner nutzt Conley überliefertes Aktenmaterial der verschiedenen Manuskriptstufen einzelner Hörfunkbeiträge, Unterlagen des Staatlichen Komitees für Rundfunk im Bundesarchiv sowie in Einzelfällen auch Akten des Archivs des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU). Ergänzend wurden 40 Zeitzeugen befragt.

Nach der Einleitung mit Angaben zu Forschungsgegenstand, Fragestellung und Methode sowie aktueller Quellenlage beschäftigt sich der Autor im zweiten Kapitel mit der “Organisationsgeschichte” (23), den institutionellen Rahmenbedingungen des DDR-Features. Dabei steht die Frage,  “welche Position und Funktion das Feature innerhalb des Staatsrundfunks der DDR einnahm” (22), im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. Im dritten Kapitel legt Conley den Schwerpunkt auf die Programmgeschichte. Er unterteilt die thematische Spannweite der Features in acht Bereiche: Berufsleben, Freizeit und Alltag, Jugend, die Rolle der Frau, Kunst und Literatur, Länder, Landschaften und Städte, Politik sowie Geschichte (7). Im nächsten Schritt werden dann die formalen Aspekte erläutert, die bei der Umsetzung der Hörfunk-Beiträge wichtig waren. Im fünften Kapitel analysiert Conley 16 zufällig ausgewählte Einzeldarstellungen aus 30 Jahren Feature-Geschichte in der DDR, welche die Programmgeschichte “in ihrem historisch-chronologischen Rahmen” (24) zusammenfassen und seine Thesen überprüfen helfen soll. Der Epilog behandelt die Jahre der Abwicklung und Neuausrichtung des DDR-Hörfunks 1990 und 1991.

Auch wenn Patrick Conleys Arbeit durchaus eine Forschungslücke zu schließen hilft, so trüben jedoch vor allem methodische Mängel und Ungenauigkeiten den Wert seiner Erkenntnisse. Beispielsweise wählt er die “qualitative Analyse der betreffenden Sendungen” (20) und will “induktiv, von den Einzelwerken und ihren Phänomenen auf das Ganze” (ebd.) schließen. Nach welchen Kriterien und Kategorien er dies vollzieht, bleibt jedoch äußerst vage und schwer nachvollziehbar. Auch die zufällige Auswahl von drei Features pro Jahr als Referenzmittel ist angesichts der überschaubaren Gesamtzahl der Sendungen fragwürdig. Größtes Manko bleibt jedoch, dass Conley den deutsch-deutschen Vergleich der Hörfunklandschaften bewusst ausklammert. Er argumentiert zu Recht, dass die DDR-Features sich von den Produktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik unterschieden, weil sie “im Auftrag einer staatlichen Rundfunkgesellschaft mit Richtlinienkompetenz einer Einheitspartei” (21) entstanden, dennoch hätte eine sinnvolle komparatistische Erweiterung der Fragestellung die Arbeit deutlich aufgewertet. Der Einfluss des bundesdeutschen Hörfunks auf die DDR-Programmentwicklung ist in der aktuellen Medienforschung unbestritten. Auch eine Einbeziehung der Rezeptionsgeschichte wäre wünschenswert gewesen.

Hervorzuheben bleibt die große Zahl von 40 Zeitzeugeninterviews mit “ehemaligen Autoren, Dramaturgen und Regisseuren des DDR-Rundfunks” (32). Hier konnte der Autor seine Erfahrungen und Kontakte als ehemaliger Mitarbeiter gewinnbringend nutzen. Die Aussagen der Befragten werden in den einzelnen Kapiteln immer wieder als Beweislast herangezogen. Wie die Auswahl der Interviewpartner zu Stande kam und unter welchen Bedingungen die Befragungen stattfanden, bleibt jedoch nebulös. Leider verzichtet der Autor am Ende seiner Untersuchung zugunsten eines Epiloges über die Zeit nach dem Fall der Mauer auf ein Fazit. Der Leser wird mit den eingangs aufgeworfenen und unbeantworteten Forschungsfragen so leider ratlos zurückgelassen.

Literatur:

  • Dussel, K.: Hörfunk in Deutschland. Politik, Programm, Publikum (1923-1960). Potsdam [Verlag für Berlin-Brandenburg] 2002.
  • Kursawe, S.: Vom Leitmedium zum Begleitmedium. Die Radioprogramme des Hessischen Rundfunks 1960-1980. Köln [Böhlau] 2004.
  • Schildt, A.: Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit. In: Geschichte und Gesellschaft, 27, 2001, S. 177-206.

Links:

Über das BuchChristian Könne: Der Hörfunk der DDR in den 1960er Jahren. Pläne, Innovationen, Wirklichkeiten. Berlin [Verlag für Berlin-Brandenburg] 2010, 314 Seiten, 30,- Euro.

Patrick Conley: Der parteiliche Journalist. Die Geschichte des Radio-Features in der DDR. Berlin [Metropol Verlag] 2012, 335 Seiten, 22,- Euro.Empfohlene ZitierweiseZur Geschichte des Hörfunks in der DDR. von Räder, Andy in rezensionen:kommunikation:medien, 8. Juni 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/13240
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Ein Kommentar auf “Zur Geschichte des Hörfunks in der DDR
  1. Patrick Conley sagt:

    Andy Räders Besprechung von „Der parteiliche Journalist“ klingt seltsam bekannt. Schon Anke Fiedler hat ihren Verriss in der Zeitschrift „M&K“ mit den Worten geschlossen: „So bleibt der Leser am Ende allein mit der Frage, was (oder wen) Conley mit seinem Buch erreichen wollte.“ Beide Rezensenten schaffen es in ihrer gespielten Ratlosigkeit, den Inhalt der Studie fast vollständig auszublenden, egal ob es um erstmals aufgedeckte Stasifälle oder um die Nachwendekarriere der Rundfunkmitarbeiter geht. – Eine im zweiten Teil einer Sammelrezension versteckte Besprechung, die bereits Gedrucktes noch einmal zusammenfasst; ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
    […]
    Hinweis: Da sich die weiteren Absätze des Kommentars auf eine in der Zeitschrift M&K erschienene Rezension von Der parteiliche Journalist beziehen, wurden sie von der Redaktion gelöscht.