Birgit Stark, Melanie Magin (Hrsg.): Die österreichische Medienlandschaft im Umbruch

Einzelrezension
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Rezensiert von Matthias Künzler

Einzelrezension
Gratiszeitungen, Internet oder die Entstehung von “Newsrooms” sind internationale Trends, die für alle europäischen Mediensysteme eine Herausforderung darstellen. Nur zu oft mangelt es jedoch an Länderstudien, die solche Entwicklungen und ihre Folgen für ein bestimmtes Mediensystem empirisch analysieren. Aus diesem Grunde ist es begrüßenswert, dass sich der dritte Band der neuen Reihe von “Relation” der Veränderung der österreichischen Medienlandschaft widmet. Die beiden Herausgeberinnen Birgit Stark und Melanie Magin – beide an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien tätig – wollen damit einerseits die Forschungslücke einer “aktuelle[n] und übergreifende[n] Zusammenschau von Forschungsergebnissen für Österreich” (7) schließen und andererseits “das Spannungsverhältnis zwischen historisch gewachsenen Strukturen des Landes und globalen Veränderungen der Medienlandschaft […] beschreiben” (8). Um es an dieser Stelle gleich vorweg zu nehmen: Dieses wichtige und zugleich ambitionierte Unterfangen ist gelungen!

Der Band ist in die fünf thematischen Bereiche Presse, Rundfunk, Internet, Journalismus und Medienpolitik gegliedert. Zu diesen thematischen Schwerpunkten haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen europäischen Ländern verschiedene Aspekte im Rahmen empirischer Einzelstudien untersucht. Die für einen länderspezifischen Band bemerkenswerte internationale Zusammensetzung der Autorinnen und Autoren spiegelt sich auch darin wider, dass von zwölf Beiträgen zwei in englischer Sprache publiziert wurden.

Bei allen Beiträgen handelt es sich um Studien, die niemals Gefahr laufen, sich an zu kleinteiligen Details abzuarbeiten. Dies ist möglich, da alle Beiträge entweder eine Langzeitperspektive und/oder einen impliziten oder expliziten ländervergleichenden Ansatz pflegen. Beispielsweise vergleichen Lindards Udris und Jens Lucht die Loslösung der Presse von politischen und sozialen Trägergruppen in den drei deutschsprachigen Ländern und können so aufzeigen, dass in Österreich Reste des politischen Parallelismus stärker als in den anderen Ländern erhalten blieben.

Auch die Untersuchung des Berufsfelds Journalismus durch Roman Hummel und Susanne Kassel, die Analyse der Internetnutzung verschiedener sozialer Gruppen im Zeitverlauf durch Birgit Stark und Uta Russmann sowie die Untersuchung der Entwicklung von Gratiszeitungen in Österreich durch Piet Bakker und Josef Seethaler stellen ihre Daten in den Kontext zur Entwicklung anderer Länder.

Gewinnbringend ist der ländervergleichende Blickwinkel auch in den Beiträgen von Francisca Weder und Matthias Karmasin zur Umsetzung von Corporate Social Responsibility-Maßnahmen bei österreichischen und ausländischen Medienkonzernen oder bei der Studie über Newsroom-Konvergenz von Tageszeitungen im internationalen Vergleich durch Andy Kaltenbrunner, Klaus Meier, José A. Garcia Avilés, Daniela Kraus und Miguel Carvajal. Dieser Beitrag macht deutlich, dass es den “Newsroom” nicht gibt. Vielmehr existieren unterschiedliche Konzepte und Zielsetzungen, wie Redaktionsstrukturen auf Entwicklungen der Medienkonvergenz angepasst werden.

Ebenfalls gebührend Berücksichtigung findet im Sammelband die medienökonomische Perspektive. Angela Fritz und Johanna Grüblbauer suchen auf Basis eines medienökonomischen Modells nach Erfolgsfaktoren für Geschäftsmodelle lokaler Wochenzeitungen, während Paul Murschetz der Frage nachgeht, inwiefern Presseförderung Marktversagen verhindern kann. Gerade für den nichtösterreichischen Leser ist die Untersuchung der Tageszeitung “Neues Österreich” durch die Herausgeberinnen des Sammelbands interessant, da es sich hier um ein Beispiel eines Markteintritts handelt, wie er im Tageszeitungsbereich nur selten vorkommt.

Die Ergebnisse der Inhaltsanalysen zeigen allerdings, dass die hochgesteckten Ziele der Neugründung kaum erreicht wurden. Eher als Erfolg ist dafür die Einführung von Handy-TV zu sehen, die laut den Ergebnissen von Julia Wippersberg darauf zurückzuführen ist, dass Mobilfunkunternehmen selber Programmpakete schnüren und Inhalte anbieten können. Dies stellt ein medienpolitisch geförderter Anreiz zur aktiven Entwicklung und Verbreitung dieser Technologie dar. In Anbetracht der anfangs eher zögerlichen Einführung von Privatrundfunk in Österreich – ein Aspekt der von Patrick Segallas untersucht wird – ist diese Entwicklung im Bereich des mobilen Fernsehens durchaus bemerkenswert.

Neben dem Schließen der Forschungslücke zum österreichischen Mediensystem liegt die besondere Stärke des Sammelbands im komparativen Blickwinkel und der Langzeitperspektive der meisten Artikel. Dadurch ist gewährleistet, dass sich die Ergebnisse vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen diskutieren lassen. Zu kritisieren ist einzig die Gliederung: So ist nicht völlig einsichtig, weshalb beispielsweise der Artikel von Thomas Steinmaurer beim Themenbereich “Rundfunk” und nicht bei “Medienpolitik” angesiedelt ist, obwohl er vorzüglich die Entwicklung der EU-Wettbewerbspolitik und deren Auswirkungen auf den gebührenfinanzierten öffentlichen Rundfunk fallbasiert untersucht. Auch die Analyse der medienpolitischen Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierung der Fernsehübertragung und die Entwicklung dieser Distributionstechnologie im Vergleich zu anderen Übertragungswegen im Aufsatz von Christian Ortner, Ingrid Paus-Hasebrink und Alois Pluschkowitz hätte im Kapitel Medienpolitik abgehandelt werden können.

Zudem herrscht ein gewisses Ungleichgewicht in der Anzahl Studien zu den einzelnen Themenbereichen: Lediglich ein Artikel widmet sich explizit dem Internet, während es bei Presse und Rundfunk je vier sind. Hier zeigt sich möglicherweise die Kehrseite des Peer-Review-Verfahrens, welche es vermutlich nur beschränkt erlaubt hat, Beiträge zu bestimmten Themen gezielt einzufordern.

Summa Summarum dürfte der vorliegende Sammelband für die nächsten Jahre zum Standardwerk jedes Forschers avancieren, der sich mit der österreichischen Medienlandschaft auseinandersetzt. Jene Forscherinnen und Forscher, die sich komparativ mit der Veränderung von Medienlandschaften oder mit anderen Mediensystemen beschäftigen, werden den Band wegen seines komparativen Blickwinkels ebenfalls mit Gewinn lesen.

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Über das BuchBirgit Stark, Melanie Magin (Hrsg.): Die österreichische Medienlandschaft im Umbruch. Reihe: relation, N.F., Band 3. Wien [Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften] 2009, 360 Seiten, 23,60 Euro.Empfohlene ZitierweiseBirgit Stark, Melanie Magin (Hrsg.): Die österreichische Medienlandschaft im Umbruch. von Künzler, Matthias in rezensionen:kommunikation:medien, 6. Februar 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/1058
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