Werner Früh, Benjamin Bigl, Sebastian Heinisch, Markus Schubert, Jasper A. Friedrich (Hrsg.): Empirisch-praktisch forschen

Einzelrezension
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Rezensiert von Klaus Beck

Einzelrezension
Achtzehnmal haben insgesamt 22 Kolleginnen und Kollegen nicht nur empirisch-praktisch geforscht, sondern ihre Ergebnisse und Befunde zu Ehren von Hans-Jörg Stiehler auch zu Papier gebracht. Eine Festschrift soll den Jubilar würdigen und ehren, und zwar auf persönliche Art und Weise. Und das gelingt dem vorliegenden Band gleich auf doppelte Weise: Zum einen natürlich wie es sich gehört durch eine Stiehler-Bibliographie und editorische Notizen sowie Anmerkungen in den einzelnen Beiträgen von Freunden, Kollegen und Wegefährten, ergänzt durch eine Reihe von Fotos, die Stiehler bei seinen akademischen und sportlichen Leidenschaften zeigen. Zum anderen aber gelingt es dem Band gerade durch die inhaltliche Heterogenität seiner Beiträge, der Vielfalt von Stiehlers Interessen Rechnung zu tragen und gleichzeitig seine Forschungsschwerpunkte hervortreten zu lassen: Da sind natürlich jeweils gleich mehrere Beiträge über Medien und Sport sowie diejenigen zur Nutzung und Rezeption des Rundfunks und über die Methodik ihrer Erforschung.

Es finden sich aber eben auch wissenschaftlich wie biographisch nahe liegende Reflexionen der politisch-gesellschaftlichen Dimension vor und nach der Wende, wie sie in den Beiträgen von Lokatis (über Buchzensur in der DDR), Heinisch (zur medialen DDR-Nostalgie), Früh, Wünsch und Gehrau sowie Frey-Vor (über die Ost-West-Unterschiede der Fernsehrezeption) thematisiert werden.

Aus dem reichhaltigen Angebot können hier stellvertretend nur einige ganz unterschiedliche Beiträge herausgegriffen werden. Die Leipziger Kollegen Arnulf Kutsch, mit sekundäranalytischen Betrachtungen früher Zeitungsinhaltsanalysen (ab 1909!), und Rüdiger Steinmetz, mit seinem Aufsatz über den Leipziger Medienwirkungsforscher und Filmtheoretiker Hugo Münsterberg, liefern lesenswerte fachgeschichtliche Beiträge. Zu den Weggefährten aus der Zeit des Leipziger Instituts für Jugendforschung zählt Lothar Bisky, der aus der Perspektive des praktizierenden Politikers mit medienwissenschaftlichem Hintergrund die Vernachlässigung der Medienpolitik zutreffend analysiert und eine ganze Reihe aktueller medienpolitischer Fragen aufwirft.

Lothar Mikos weist sehr zurecht auf einen etwas verborgen publizierten Ansatz Hans-Jörg Stiehlers zu subjektiven Medientheorien hin und wendet dieses Konzept reflexiv an – auf sich selbst und seine Biographie als Mediennutzer und Medienwissenschaftler. Auch Carsten Wünsch und Volker Gehrau überprüfen eine interessante These Stiehlers zur Mediennutzung: Die in Ost- und Westdeutschland bis heute anhaltend unterschiedlichen Zeitpunkte und Dauern der Mediennutzung könnten nicht so sehr auf soziokulturelle Unterschiede als schlichtweg darauf zurückzuführen sein, dass die Sonne im Osten (früher) aufgeht.

Wünsch und Gehrau rechnen nun auf der Basis der Langzeitstudie Massenkommunikation von 2005 Regressionsanalysen für die Tageszeitungslektüre sowie die Hörfunk- und Fernsehnutzung. Unter Berücksichtigung von Faktoren wie Erwerbsstatus, Alter und Geschlecht (als Kontrollvariablen) fällt das Ergebnis der Analyse deutlich aus: Es findet sich kein empirischer Beleg für Stiehlers These. Bei Tageszeitung und Radio sind die nachgewiesenen Effekte ohnehin sehr gering, und beim Fernsehen lässt sich sogar beobachten, dass die Rezeption später am Tag beginnt, wenn am entsprechenden Ort die Sonne früher aufgeht. Es spricht also doch einiges für soziale und biographische Faktoren, die sich ja bekanntermaßen nicht in Ost-West-Differenzen erschöpfen.

Über die Problematik dieser viel strapazierten Dichotomie reflektiert Werner Früh, der gemeinsam mit Stiehler und anderen die maßgeblichen Studien zur Mediennutzung und Medienrepräsentation Ostdeutschlands durchgeführt hat. In seinem wissenschafts-satirischen Beitrag über das Ossi-Wessi-Problem differenziert er die Begriffe. Dies geschieht spielerisch – mit überzeugender Plausibilität anhand zweifellos wichtiger Zusatzfaktoren – um schließlich 33 Ossi-Wessi-Varianten zu erzeugen. Spiel und Sport gehören zu Stiehler und folglich auch in diesen Band: Benjamin Bigl berichtet über funktionale Transfereffekte bei virtuellen Sportspielen, und die Schwierigkeiten diese im Experiment empirisch nachzuweisen. Bernd Schorb und Helga Theunert analysieren die Funktionen und Wirkungen von Online-Spielen auf Kinder und Jugendliche, und zwar ohne bewahrpädagogischen Impetus, den Dieter Wiedemann kritisch und mit einer deutsch-deutschen Pointe unter die Lupe nimmt.

Neben den empirisch-praktischen Methoden der Rezeptionsforschung, dem Ost-West-Thema und dem Spiel(en) dürfen der Sport bzw. die medialen Sportberichterstattung in einer Festschrift für Stiehler nicht fehlen. Jasper A. Friedrich und Markus Schubert haben beispielsweise die Fernsehberichterstattung zur Fußball-WM 2010 in Südafrika untersucht und eine repräsentative Befragung hierzu durchgeführt. Bei der Inhaltsanalyse ging es nicht nur um dem Umfang, den König Fußball anlässlich des Großereignisses im Fernsehen einnahm, sondern auch um interessante Detailfragen wie die Platzierungen in den Hauptnachrichtensendungen sowie Präsentations- und Inszenierungsqualitäten.

Der Blick in das vorliegende Buch lohnt, so sollte deutlich geworden sein, für alle, die so vielseitig interessiert sind wie Stiehler, auch wenn sie ihn vielleicht persönlich bislang nicht kennengelernt haben.

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Über das BuchWerner Früh, Benjamin Bigl, Sebastian Heinisch, Markus Schubert, Jasper A. Friedrich (Hrsg.): Empirisch-praktisch forschen. Anwendungsfelder der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Reihe: MedienRausch, Band 3. München [Martin Meidenbauer Verlag] 2011, 344 Seiten, 49,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseWerner Früh, Benjamin Bigl, Sebastian Heinisch, Markus Schubert, Jasper A. Friedrich (Hrsg.): Empirisch-praktisch forschen. von Beck, Klaus in rezensionen:kommunikation:medien, 1. November 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/10490
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